Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder sprach bei der IHK
Februar 21, 2015
Der Hauptredner des Parlamentarischen Abends der IHK Lippe, Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder, forderte vor 350 Zuhörern Reformen sowohl für die EU, als auch in Deutschland. Der Staat müsse die Rahmenbedingungen für den Industriestandort Deutschland schaffen. Das betreffe rentenpolitische Maßnahmen, die Infrastruktur und die Energiepolitik. „Wir müssen den Industriestandort Deutschland erhalten, denn er ist das Rückgrat für unsere Wirtschaft,“ erklärte Schröder. In seiner Einführungsrede kritisierte IHK-Präsident Ernst-Michael Hasse die enorme Bürokratie im Zusammenhang mit dem Mindestlohn. „Strategische Wirtschaftspolitik sieht aus meiner Sicht anders aus!“ klagte Hasse. Die Wirtschaftssituation in Deutschland bezeichnet der IHK-Präsident insgesamt als gut. Er erinnerte jedoch daran: „Fehler werden häufig in guten Zeiten gemacht!“ Trotz einer riesigen Zinsersparnis und sprudelnder Steuereinnahmen würde in Deutschland vom Staat gerade einmal eine „Schwarze Null“ erwirtschaftet. Leider habe sich die Bundesregierung von den Prinzipien der Agenda 2010 entfernt. Dabei bildeten gerade diese Reformen die Grundlage für den heutigen wirtschaftlichen Erfolg. Die Rente mit 63 sei nur ein Beispiel einer kurzsichtigen Politik. Weitaus schlimmer sei jedoch der Mindestlohn. Dabei gehe es nicht um die Höhe an sich, sondern um die enorme Bürokratie und die Verunsicherung, die mit diesem Gesetz einhergehe. Die Kosten für die Bürokratie beliefen sich auf rund 10 Milliarden Euro. „Ich glaube, wir könnten mit diesem Betrag viel sinnvollere Dinge finanzieren, beispielsweise Bildung, Breitbandausbau oder die Sanierung von Straßen und Brücken“, erklärte Hasse. Hasse lobte die lippischen Unternehmen für ihre Anstrengungen bei der Berufsausbildung und rief sie auf, nicht nachzulassen. Er wies auf das erfolgreiche Engagement der Wirtschaft hin, Lippe durch eine gemeinsame Standortkampagne zu stärken.
Der Hauptredner, Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder, wies zu Beginn seiner Rede darauf hin, dass sich die Situation in Deutschland, Europa und global in den letzten Monaten stark verändert hätte. Schröder sieht drei Herausforderungen: Die Eurokrise, den Konflikt in der Ukraine und die Kriege im Nahen Osten. „Diese Auseinandersetzungen sind nicht nur, aber auch eine Folge einer verfehlten westlichen Politik“, erklärte Schröder. In der Ukraine habe die EU schon vor Jahren einen grundlegenden Fehler gemacht, in dem Russland nicht in die Verhandlungen über eine Zollunion mit einbezogen worden sei. Für die USA sei der Ukraine-Konflikt eine geopolitische Situation. Für Europa jedoch sei der Konflikt existentiell, „denn Sicherheit auf unserem Kontinent wird es nur mit und nicht gegen Russland geben,“ erklärte Schröder. Es wäre wichtig gewesen, Rusland ein Assoziierungsabkommen anzubieten, denn ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen der EU und Russland sei für beide Seiten von Interesse.
Doch die politische und wirtschaftliche Situation der EU werde auch von inneren Einwirkungen beeinflusst. Die Wahlen in Griechenland hätten gezeigt, dass es ein hohes Maß an Misstrauen und Enttäuschung bei den Menschen gebe. Und die Umfragen aus Spanien und Portugal ließen vermuten, dass dort bei den Wahlen ähnliche Situationen entstehen könnten. In den letzten Monaten sei deutlich geworden, dass sich das politische Gebilde „Europäische Union“ weiterentwickeln müsse. Nur so könne sie dauerhaft zwischen den Blöcken China und den USA bestehen. Schröder forderte deshalb: „Wir müssen die politische Einheit Europas vorantreiben.“ Dazu zählt, „dass wir den grundlegenden Strukturfehler der Währungsunion – die fehlende Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Euro-Zone – korrigieren.“ Den ökonomischen und politischen Herausforderungen der Globalisierung müsse durch Reformen begegnet werden. Nur so könnten die Volkswirtschaften international konkurrenzfähig und die Sozialsysteme leistungsfähig, aber auch bezahlbar bleiben. Deutschlands Stärke sei die Industrie. Sie trüge mit 24 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. „Die Industrie ist kein Auslaufmodell. Im Gegenteil: Sie ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.“ Die Hälfte der im Dienstleistungsbereich geleisteten Arbeitsstunden entfalle zudem auf Vorleistungen für die Industrie, so Schröder.
Schröder regte in mehreren Bereichen Reformen an. Er plädierte für eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters und mahnte öffentliche Gelder für Infrastrukturmaßnahmen an. Außerdem forderte er Investitionen in Bildung von Kleinkind bis zur Universität. Allein die rentenpolitischen Maßnahmen würden in den nächsten 15 Jahren etwa 160 Milliarden Euro kosten. Er fragte: „Wäre es nicht besser gewesen, das Geld in die Bildung zu stecken?“
Pressemeldung IHK Lippe