Im Vorfeld der Bundestagsdebatte zur Sterbehilfe hat sich der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL), Dr. Hans-Albert Gehle, per Brief an die nordrhein-westfälischen Abgeordneten gewendet und sich für eine intensive und ausführliche gesamtgesellschaftliche Debatte ausgesprochen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020, das damals gültige Verbot der Sterbehilfe aufzuheben und eine gesetzliche Neuregelung einzufordern, fehle es bis heute an solch einer breiten gesellschaftlichen Diskussion, in die alle relevanten Gruppen einzubeziehen wären. „Was wir brauchen, ist mehr Zeit für einen tiefgehenden Austausch“, erklärt Gehle auch im Namen des ÄKWL-Vorstandes.
Es sei wenig zielführend, dass der Gesetzgeber eine solch bedeutende Entscheidung zur Sterbehilfe in der letzten Woche vor der Sommerpause in einer knapp zweistündigen Debatte behandeln will, so der Kammerpräsident in seinem Schreiben an die Bundestagsabgeordneten aus NRW weiter. „Solch ein parlamentarischer Schnellschuss wird diesem Thema in keiner Weise gerecht.“
Insbesondere sei es dringend notwendig, neu über die vom Gesetzgeber zugewiesene Rolle der Ärzteschaft zu diskutieren. „Einerseits gibt es die Zusicherung, eine solche Sterbehilfe nicht leisten zu müssen, andererseits fällt Ärztinnen und Ärzten die Aufgabe zu, ein tödliches Medikament zu verordnen und über seine zielführende Anwendung zu informieren. Ich möchte auch nochmal verdeutlichen, dass es bei der ärztlichen Betreuung von Suizidwilligen nicht nur um schwer kranke Menschen in aussichtsloser Situation, sondern generell um Menschen mit Suizidwunsch geht. Auch die Bemühungen um Suizidprävention müssen in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht noch verstärkt werden.“
Die Ärztekammer Westfalen-Lippe sehe als eine Konsequenz aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass zukünftig deutlicher differenziert werden müsse zwischen dem Sterbewunsch eines etwa depressiven Menschen und Situationen, in denen schwer kranke Patientinnen und Patienten an der Grenze zwischen Leben und Tod durch Ärztinnen und Ärzte palliativmedizinisch begleitet werden. Gehle: „Solch ein Gesetz würde längst nicht allen Betroffenen helfen. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, hier für Klarheit zu sorgen – auch im Sinne eines klaren Handlungsrahmens für Ärztinnen und Ärzte. Ärzte sind keine Sterbehelfer, sondern Sterbebegleiter für ihre schwerstkranken Patienten. Die Begleitung sterbenskranker Menschen ist eine urärztliche Aufgabe – die Umsetzung des individuellen Rechts auf Selbsttötung ist keine Maxime für das ärztliche Handeln und darf es auch nicht werden.“ Der suizidalen Begehrlichkeit eines lebensmüden Menschen nachzukommen, also quasi das Töten auf Verlangen umzusetzen, sei für den Arzt ethisch und gesetzlich nicht vertretbar. Der Gesetzgeber dürfe Ärztinnen und Ärzte nie dazu verpflichten, Menschen ihren Todeswunsch erfüllen zu müssen, so ÄKWL-Präsident Gehle abschließend.