Eintrag ins Gästebuch: EU-Kommissar Günther Oettinger (l.) mit IHK-Präsident Ernst-Michael Hasse und IHK-Hauptgeschäftsführer Axel Martens (r.) Foto: Gocke

Günther Oettinger beim Parlamentarischen Abend der IHK Lippe zu Detmold.

Lippe hat eine typisch deutsche Geschichte – erst Spielball, dann Spielführer.“ Mit diesen Worten begann Guenther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, seine Festrede vor den Gästen des diesjährigen Parlamentarischen Abends der IHK Lippe zu Detmold.

Seine Rede vor dem vollbesetzten Festsaal wurde immer wieder von lang anhaltendem Applaus unterbrochen, verstand es doch der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident, die Zuschauer nicht nur zu informieren, sondern vor allem auch mitzureißen.

IHK Präsident Ernst-Michael Hasse kündigte in seiner Begrüßung Oettinger als jemanden an, der wisse, was Wandel bedeute. „Innerhalb weniger Jahre haben Sie dreimal das Ressort gewechselt“, so Hasse, der dem EU-Kommissar bescheinigte, in Lippe als Arbeitstier zu gelten.

Bevor dieser jedoch die Festrede hielt, richtete Hasse noch einmal einen dringenden Appell an die Gäste, als er – mit Blick auf den Brexit – sagte: „Wir brauchen nicht weniger, sondern ein besser funktionierendes und ein entschlossenes Europa.“ Hasse warnte davor, wieder in das „Klein-Klein der Nationalstaaterei zu verfallen“, das lediglich den Bedeutungsverlust mit sich bringe.

Auch auf die Standortkosten vor Ort ging der IHK Präsident noch einmal ein und verdeutlichte, dass die Unternehmer, als Zahler von Gewerbe- und Grundsteuer, häufig die letzte Chance für die Kommunen seien, ihre Finanzlücke auszugleichen. „Da läuft etwas in die falsche Richtung“, formulierte Hasse die Sorgen der Unternehmer unter lang anhaltendem Applaus.

Direkt an Oettinger gewandt sprach Hasse auch über die Wirtschaft als Bereitsteller von Arbeitsplätzen und als Förderer von Wohlstand. „Dann darf sie aber nicht mit neuen Auflagen und Bürokratie gegängelt werden“, forderte er und fasste seine Erfahrungen als Unternehmer mit den Worten zusammen: „Wenn Sie die deutschen Vorschriften und abgearbeitet haben, dann setzt Brüssel noch einen drauf.“ Das sei ein Alptraum.

Oettinger selbst legte den Schwerpunkt seiner Rede auf die Bedeutung Europas und unterstrich die Tatsache, dass Europa eine Friedensmission sei und bleibe. „Wir exportieren nicht nur die S-Klasse, sondern auch den Frieden“, so Oettinger.

Der EU-Kommissar bezog sich auch auf die häufig zitierten Fenster der Geschichte, die sich öffneten, aber auch wieder schlössen. „Wenn wir diese Chancen, die sich uns zwischendurch bieten, nicht nutzen, hätte es auch die deutsche Einheit nicht gegeben“, war sich der Gastredner sicher. „Darum ist Europa eine Wertegemeinschaft“, stellte Oettinger fest, der unterstrich, dass Deutschland von Freunden umgeben sei.

Aber auch die wichtige Position, die Europa als Binnenmarkt einnimmt, war Günther Oettinger ein Herzensanliegen. „Die deutsche Industrie stellt viel mehr Produkte her, als der einzelne Bürger nutzen kann“, erläuterte er. Das zeige sich auch darin, dass der Binnenmarkt für 60 Prozent der Umsätze verantwortlich sei.

Mit den Vorteilen des Binnenmarktes gehen, nach Ansicht Oettingers, auch die Vorteile Währungsunion und die Freizügigkeit einher.

Der EU-Kommissar beschrieb in seiner Rede das jüdisch-christliche Menschenbild, das im Wettbewerb mit anderen Wertemodellen stehe. „Ob dieses für andere attraktiv ist, bleibt offen“, so der Gastredner.

Es sei aber wichtig, alle Menschen mitzunehmen, auch in der Digitalisierung, denn manche Bürger hätten das Gefühl, dass sie mit den Veränderungen nicht mehr mitkämen. Oettingers Fazit: „Wenn wir das nicht hinbekommen, entsteht eine Gegenbewegung.“

Für Deutschland sieht der EU-Kommissar die Spitze erreicht: „Besser wird es nicht mehr – auch demographisch gesehen“, war er sich sicher. Es sei lediglich „nice to have“, kurz oben zu sein. Die eigentliche Herausforderung bestehe nun darin, oben zu bleiben. Mit Blick auf den neugewählten US-Präsidenten erklärte Oettinger, dass sich Europa daran gewöhnen müsse, keinen großen Bruder mehr haben, an den es sich anlehnen könne. „Europa muss erwachsen werden“, so seine Forderung.
„Wir müssen kämpfen, dass wir es zu einer Welt der G3 schaffen, also dass Europa neben den USA und China im Boot der Entscheider sitzt“, so Oettinger und forderte alle Anwesenden zum Ende seiner Rede eindringlich auf: „Gestalten Sie die Zukunft überzeugend mit!“

Die Anwesenden quittierten die Ausführungen Oettingers mit lang anhaltendem Applaus.

Ernst-Michael Hasses Fazit zu der Rede: „Ich habe heute Abend gespürt, mit wieviel Leidenschaft Sie Deutschland innerhalb der EU vertreten – das macht mich froh.“

Und auch unter den Teilnehmern war die Meinung einhellig: „Die Rede hat wachgerüttelt.“