Steffen Birkner – Bild: © Weibz.fotografie

Wie bereist in der letzten Ausgabe der NelkenWelt angekündigt, erscheint nun das vollständige Interview mit Steffen Birkner: Nach 5 Spieltagen steht die HSG Blomberg-Lippe im oberen Drittel der Tabelle der Frauenhandball-Bundesliga. Im Sommer hat das Team von Trainer Steffen Birkner ordentlich Adern lassen müssen, neben einigen Ergänzungsspielerinnen gingen mit Kamila Kordovska und Linnea Pettersson auch wichtige Schlüsselspielerinnen, die gerade die Defensivformation der Blombergerinnen prägten, Blomberg musste sich, wie so oft, neu formieren. Wir haben in der EM-Pause mit Trainer Steffen Birkner über den sportlichen Ist-Zustand seines Kaders und der Liga gesprochen:

 

Herr Birkner, nach 5 Spielen steht Ihr Team mit 6:4 Punkten gut dar, mit einer Niederlage in Buxtehude gestartet und dann mit einem unerwarteten Sieg Zuhause gegen Metzingen die Zuschauer begeistert. Doch zu Beginn der Serie haben Sie gesagt, dass die Vorbereitung mit Serienstart noch nicht vorbei ist: revidieren Sie diese Einschätzung nun?

Nein, es ist immer noch so, dass wir im Entwicklungsprozess sind, Verletzungen und auch die Berufungen zur Nationalmannschaft haben uns ein Stück weit zurückgeworfen, so dass wir noch einige Zeit brauchen, um unsere volle Leistungsfähig abrufen zu können. Hierbei meine ich nicht die individuelle Leistung, sondern das, was wir uns als Mannschaft neu erarbeiten wollen. Hierzu zählt zum Beispiel ein 7 gegen 6, ein offensives Abwehrsystem, dafür benötigen wir noch Zeit, um diese Dinge gut umzusetzen.

 

Sehen Sie nach den ersten Spielen schon Dinge, die die Mannschaft umgesetzt oder verbessert hat?

Das kann man sehr deutlich in der Effektivität des Tempospiels sehen, das ist sehr erfreulich. In der Abwehr konnten wir uns im Laufe der Saison auch steigern, allerdings haben wir weiterhin eine hohe Fehlerquote, das gilt es zu korrigieren. Sehr erfreulich ist, dass sich alle Neuzugänge super integriert haben.

 

Sie sprechen von einer hohen Fehlerquote. Können Sie uns beschreiben, wie diese Negativquote zustande kommt?

Teilweise liegt es an der falschen Wurfauswahl, da wird der Torwart nicht beobachtet und der Ball in die falsche Ecke geworfen. Dazu kommen Fehlentscheidungen den Ball zu werfen anstatt den Pass zu suchen, das liegt daran, dass wir oft zu ungeduldig im Positionsangriff sind, aber auch daran arbeiten wir.

 

Leider wurden vergangene Saison die internationalen Plätze knapp verpasst,  gibt es für diese Spielzeit ein Saisonziel?

Offiziell haben wir ganz bewusst kein Saisonziel ausgerufen, auch die Mannschaft hat kein Ziel bekommen. Wir haben Etappen vereinbart, was wir zu festgelegten Punkten erreicht haben wollen. Einige Positionen bzw. Formationen sind neu, die müssen stabilisiert werden und deswegen ist ein fest definiertes Ziel sehr schwer festzulegen. Wir liegen aber gut im Soll.

 

Mit Leni Ruwe, Mia Ziercke und Nieke Kühne stehen drei Nachwuchstalente auf der Platte, alle gerade mal 18 Jahre alt. Welche Besonderheiten müssen Sie als Trainer beachten, um junge Spielerinnen an das Bundesliganiveau heranzuführen?

Die Spielerinnen selbst benötigen vor allem Geduld, der Trainer, also ich, hat diese Geduld in der Weiterentwicklung weil ich weiß, dass sie in Ihren Entwicklungsschritten, gerade was die Bundesliga angeht, noch sehr am Anfang stehen. Alle drei sind sehr talentiert, sie müssen aber noch viel lernen, da ist es für die Spielerin selbst wichtig, sich selbst die Zeit zu geben. Sie müssen lernen auch mal mit Misserfolg im Training umzugehen oder die Spiele nicht haushoch zu gewinnen, wie in der Jugend. Die Range ist Bundesliga und nicht mehr A-Jugendbundesliga, wo sie in ihrer Altersklasse auch noch zusätzlich spielen, sondern die Frauenbundesliga, wo man es mit gestandenen Spielerinnen zu tun hat, aber die Weiterentwicklung junger Spielerinnen ist schon immer die Aufgabe der HSG und meine gewesen.

 

Marie Michalczik hatte vergangene Saison einen Lauf, beste Torschützin der Liga, profitierte vielleicht auch etwas vom Ausfall von Nele Franz. Welche Rolle spielt sie dieses Jahr bei Ihnen und vor allem im Team?

Marie Michalczik ist schon ein Leistungsträger im Rückraum, wir haben mit Nele Franz, Ann Kynast und Laetitia Quist vier der größten Talente in Deutschland, die alle zusammen voneinander profitieren. Das ist nicht selbstverständlich, dass man solche Spielerinnen bekommt, da sind wir sehr glücklich drüber. Mit Nieke Kühne, Leni Ruwe und Lisa Frey bilden sie ein starkes Gesamtkonstrukt mit viel Entwicklungspotential. Letzte Saison hat Marie Michalzcik viel Verantwortung übernehmen müssen, gerade nach dem Ausfall von Nele Franz, die natürlich die Saison in der Rückraummitte aufgrund ihrer Spielweise gefehlt hat. Marie muss jetzt in ihrem jungen Alter lernen, Nieke Kühne und Leni Ruwe etwas an die Hand zu nehmen, von ihrer Erfahrung profitieren zu lassen, wobei man nicht vergessen darf, dass es auch erst Marie´s dritte Saison ist, das wird oft vergessen. Ich würde mich freuen, wenn sie weiterhin Leistungsträger ist, mein volles Vertrauen hat sie.

 

Nicht nur im Rückraum, auch auf den Außenpositionen hat sich etwas getan. Jetzt haben Sie neben Emelyn van Wingerden und Mia Zierke mit Lisa Rajes und Alexia Hauf pfeilschnelle Spielerinnen auf den Flügeln. Was sagt denn die Statistik, ist Blomberg über außen dieses Jahr gefährlicher?

Wir haben die Jahre zuvor natürlich Analysen gemacht, wo wir uns verstärken müssen, wo können wir der Mannschaft eventuell helfen. Wir haben Linksaußen Potential gesehen und daher kam der Wechsel mit Mia Zierke und Alexia Hauf, zwei unterschiedliche Spielertypen. Alexia Hauf hat ein wahnsinnig gutes Spielverständnis, ist antrittsschnell und so wurden wir deutlich besser im Konterspiel aber auch aus der Ecke selbst. Wir sind vom Gegner schwerer auszurechnen. Tempogegenstöße liefen primär über die rechte Seite, über Lisa Rajes, da haben wir jetzt deutlich mehr Varianten. Trotzdem wollen wir noch mehr die Außenpositionen ins Spiel einbinden.

 

Tempogegenstöße, bzw. Tempospiel ist ein gutes Stichwort. Seit dieser Saison sind einige Regeländerungen eingeführt worden. Das passive Spiel wurde von 6 Pässen auf 4 reduziert und der Anwurf erfolgt aus einem Anwurfkreis. Welche positiven aber auch negativen Aspekte sehen sie in diesen Änderungen, gerade in Bezug auf das Spiel der HSG?

Die schnelle Mitte hilft uns sehr. Früher haben wir oft einen Anwurf abgepfiffen bekommen, jetzt müssen die Schiedsrichter nicht mehr darauf achten, ob Laura Rüffieux, bzw Steffi Kaiser auf der Linie stehen. Wir können unser Tempospiel deutlich besser aufziehen, was uns schon einige schnelle Tore gebracht hat. Bei dem passiven Spiel, oder umgangssprachlich „Zeitspiel“ merke ich den Unterschied nicht so. Am Ende des Tages müssen die Schiedsrichter zählen, ob bis 6 oder 4 ist egal. Viele wissen aber nicht, dass der Angriff auch abgepfiffen werden kann, wenn zu viel Zeit bei den 4 Pässen vertrödelt wird. Das bedeutet, man muss trotzdem angreifen aber für uns ist das kein großer Vor- oder Nachteil. Was weiterhin unklar ist, wann kommt das Vorwarnzeichen der Schiedsrichter, also wann kommt die Entscheidung die Hände zu heben um das passive Spiel anzuzeigen, das ist weiterhin nicht konkret geregelt.

 

Seit 2018 sind sie Cheftrainer bei der HSG Blomberg-Lippe. Seit dem konnten Sie schon einige gute Ergebnisse erzielen. Wie steht es denn, Ihrer Meinung nach, mit dem Niveau der deutschen Bundesliga in den letzten Jahren?

Meiner Meinung nach ist die Liga gleichbleibend mit wechselnden Konstellationen, gerade was die Mittelfeldplätze angeht. Da gibt es immer wieder mal Verschiebungen. Wir haben die letzten Jahre sehr gut performed, hatten hier und da auch etwas Glück. Buxtehude hatte zum Beispiel letztes Jahr ein perfektes Jahr, was wir die Saison davor hatten. An der Spitze steht Bietigheim im Wechsel mit Dortmund, dies spiegelt die sportliche Leistung wieder, wobei man dort auch mit anderen finanziellen Mitteln arbeitet. Grundsätzlich würde ich sagen, das Niveau ist stabil.

 

Ich habe die guten Platzierungen der letzten Jahre bereits angedeutet, welche Rolle spielt die HSG Blomberg-Lippe in der heutigen Frauenbundesliga?

Wir haben uns die letzten Jahre zu einem Verein gemausert, der mittlerweile zurecht im oberen Drittel beheimatet ist, wir haben viele Dinge neu angefasst, in der Geschäftsstelle sind wir personell gewachsen und natürlich brauchen wir uns mit dem Hallenumbau in der Liga nicht mehr verstecken, eigene Kabine, eigener großer Kraftraum, ein toller Physioraum, die Halle ist wirklich sehr schön geworden mit einer tollen Atmosphäre. So professionalisieren wir uns stetig weiter, was der Mannschaft hilft. Die Liga weiß, mit uns ist immer zu rechnen, keiner spielt gerne gegen uns, da wir ein unbequemer Gegner sind. Ich möchte schon sagen, dass wir ein starker Bestandteil der Liga geworden sind.

 

Die Rahmenbedingungen sind also bereits gut, eine tolle Spielstätte, ein gut aufgestelltes Umfeld. Welche sportlichen Ziele sehen Sie mittelfristig mit der HSG realistisch?

Wir wollen uns als Verein weiterentwickeln, im Bereich Bundesliga und im Bereich Jugendarbeit. Natürlich wollen wir mittelfristig erreichen, dass die HSG Blomberg-Lippe immer um die europäischen Plätze mitspielt, das sollte schon Ziel sein, alleine um Spielerinnen zu halten oder neue hinzuzugewinnen. Im europäischen Wettbewerb dann nicht in der dritten Runde ausscheiden, das wäre ein weiteres Ziel, welches voraussetzt, einen guten Kader zu halten und die finanziellen Mittel dafür aufbringen zu können, ohne dabei die HSG Historie und das Vereinsprofil zu verlieren. So kann man auf die Leistung aufsatteln und muss nicht immer von vorne anfangen.

 

Sie sprechen vom Vereinsprofil, Was beinhaltet dieses Profil?

Junge Leute ausbilden, mit der Akademie weiterhin deutschen Talenten eine Chance geben, den Sprung in die Bundesliga möglich zu machen, auch wenn man akzeptieren muss, dass man gute Leute auch wieder ziehen lassen muss.

 

Welche Gründe gibt es dafür?

Die Gründe sind vielfältig, wenn der Weiterentwicklung bei uns Grenzen gesetzt sind oder die betreffende Position stark besetzt ist.

 

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, wir wünschen weiterhin viel Erfolg in der laufenden Saison.

Sehr gerne, ich würde mich freuen, wenn die Blomberger Zuschauer wieder zahlreich in die neue Halle kommen um uns zu unterstützen. Tickets gibt es auf unserer Homepage www.hsg-blomberg-lippe.de oder an der Tageskasse. Die Preise liegen weiterhin je nach Kategorie zwischen 10,00 und 18,00 Euro. Die Mannschaft braucht lautstarke Unterstützung.

 

 

Das Interview führte Christian Frost (vielen Dank an dieser Stelle) der auch für das Kommentieren der auf www.sportdeutschland.tv übertragenen Heimspiele der HSG verantwortlich zeichnet.