Die Zahl der Organspenden ist in Deutschland auf dem niedrigsten Niveau, seitdem diese Zahlen dokumentiert werden. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation weist für 2017 noch 797 Organspender aus, 2016 spendeten 857 Menschen Organe. Vor zehn Jahren waren es 1313, 40 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Vor diesem Hintergrund fordert der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst, ein konsequentes Umdenken bei der Organspende. „Wir brauchen jetzt die Systemänderung, um das Leiden der kranken Menschen auf der Warteliste für ein neues lebensrettendes Organ nicht noch weiter zu vergrößern. Unser Organspende-System hat versagt.“ In den Ländern rund um Deutschland gibt es nach Ansicht von Dr. Windhorst „Regelungen mit Vorbildcharakter“, in Spanien etwa gebe es die erweiterte Widerspruchslösung bereits und lägen die Spenderzahlen höher als in Deutschland.
„Dort sind es circa 39 Organspender je Millionen Einwohner, bei uns lediglich 9,3.“ In den Niederlanden (14,3 Spender pro Millionen Einwohner) gebe es aktuell eine Diskussion zur Systemänderung. Die Schweiz mit 17 Spendern pro Millionen Einwohnern warte einen Probezeitraum von fünf Jahren zur Steigerung der Spendezahlen ab, um dann über Änderungen zu entscheiden. „Auch in Deutschland müssen wir diese Diskussion nun aufnehmen und uns für die erweiterte Widerspruchslösung entscheiden. Es ist Zeit für eine offene, ehrliche und transparente Debatte über die Organspende. Die Einführung der erweiterten Widerspruchslösung ist dringend nötig.“ Die Widerspruchslösung sieht in den meisten europäischen Ländern vor, dass grundsätzlich als Organspender gilt, wer einer Spende zuvor nicht ausdrücklich widersprochen hat, Angehörige haben dabei ein Vetorecht. „Deutschland ist nach wie vor Organ-Importland, da man hier nach wie vor nicht wirklich gezwungen ist, sich ernsthaft mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen.“ Im vergangenen Jahr wurden 175 Spenderorgane aus Ländern mit der Widerspruchslösung importiert, sagt der Kammerpräsident.
Die Debatte um die Unversehrtheit des Körpers nach dem Tod habe sich, so Windhorst, in den letzten Jahren derart gewandelt, dass 70 Prozent der Menschen für sich eine Feuerbestattung verfügen. „Dringend benötigte Organe werden einfach verbrannt.“ Eine Einäscherung sei nicht zu kritisieren, aber „eine vorherige Organspende wäre ein Geschenk für die Schwerstkranken auf der Warteliste“.
In der Bevölkerung müsse das Vertrauen in das Organspendesystem erneuert werden. Dies sei auch die Aufgabe der Ärzteschaft, so Windhorst. Aufgabe der Menschen sei es, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die überarbeitete Hirntod-Diagnostik sei „nach wie vor ein sicheres und transparentes System nach den Harvard-Kriterien“, also auch wissenschaftlich gesichert. „Die Menschen müssen keine Angst haben vor etwaigem Missbrauch.“
Seit Jahren stagniere die Spendebereitschaft auf einem niedrigen Niveau, so Windhorst. Die aktuellen negativen Zahlen seien ein Beleg dafür, dass das Thema der Organspende in der Bevölkerung nicht genügend präsent ist. Wenn es an Aufklärung und Kenntnissen über die Organspende fehle, sei die derzeit gültige Entscheidungslösung nicht mehr der richtige Weg. „Das seit einigen Jahren geltende deutsche Verfahren, dass Krankenkassen ihre Versicherten informieren und diese dann eine Entscheidung über eine mögliche Organspende treffen, hat keine nachhaltige Besserung der Situation gebracht“, kritisiert Dr. Windhorst.
Über die Einführung der Widerspruchslösung hinaus plädiert Windhorst auch dafür, die strukturellen und finanziellen Voraussetzungen für Organspenden in Krankenhäusern zu verbessern. So müssten die Transplantationsbeauftragten in den Kliniken bessere Bedingungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. „Transplantationsbeauftragte müssen für ihre Arbeit aus dem Routinebetrieb eines Krankenhauses herausgenommen werden und autarker als bisher agieren können.“
Weiterhin müssten über 10.000 Patienten auf eine lebenserhaltende und die Lebensqualität verbessernde Organspende warten. „Den Wartenden bleibt nur die Hoffnung. Wenn sich nichts ändert, sehen wir weiterhin einfach so zu, wie jeden Tag drei Patienten sterben, die auf der Warteliste des Todes stehen. Die Gesellschaft trägt eine Verantwortung gegenüber den Patienten auf dieser Liste.“
Pressemeldung Ärztekammer Westfalen Lippe