In der NelkenWelt ist ein Interview erschienen, welches wir auch gern´ unseren Leserinnen und Lesern auf Blomberg Voices zugänglich machen. Die Blombergerin Sabine Lange ist Ur-Blombergerin, zurückverfolgbar bis ins Jahr 1752, als ihr Vorfahre Johann Lange aus Wöbbel nach Blomberg umzog und sich neben der Flüggeschen Scheue als Stadtschäfer nieder lies. Unsere Redaktion hat Sabine Lange zu einem Thema befragt, welches die Gemüter spaltet: Das „Gendern“. Vielen geht der geschlechterbewusste Sprachgebrauch zu weit, andere fordern diesen noch auszuweiten.
Frau Lange, zunächst ein paar Einblicke: Wer ist Sabine Lange?
Sabine Lange ist eine 58-jährige Frau, die 57 Jahre ihres Lebens mit männlichem Äußeren lebte, 31 Jahre davon in einer sehr glücklichen, liebevollen Ehe mit einer wundervollen und außergewöhnlichen Frau, die leider viel zu früh verstorben ist. Nicht nur mein Äußeres war männlich, auch mein Beruf war es. Ausbildung im Elektrohandwerk hier in Blomberg. Für meine Eltern kam nur so etwas „typisch männliches“ in Frage. Später absolvierte ich meine Fachoberschule am Felix-Fechenbach-Berufskolleg und hatte während der Zeit auch den Vorsitz der Schülervertretung. E-Technik-Studium in Bielefeld und Lemgo, nach einigen Semestern habe ich die Betriebsleitung in einem Unternehmen für Automatisierungstechnik übernommen und mich neben dem Job zum staatlich geprüften Techniker qualifiziert. Heute entwickle ich Programme zur Steuerung von Industriegebäuden, Internet der Dinge für Industrieanlagen. Ein toller Job.
Und wer war Sabine Lange?
Die Menschen hier kennen mich teils noch mit Vollbart und langen Haaren oder auch mit Hut. Und vielleicht immer ein wenig anders? Auch als MusikerIn in verschiedenen Bands. Ich hab mich eigentlich immer überall akzeptiert gefühlt, auch vor meiner Metamorphose. Menschen, die mir sehr nah waren, hatten teils schon früher die Frau in mir erkannt, obschon ich niemals darüber geredet habe, immer versuchte, es zu verstecken. Fragen nach einer Geschlechts-Angleichung, denn es ist eben keine „Umwandlung“, beantworte ich eigentlich immer mit der Aussage „ich gehe den medizinischen Weg der Transition“. Denn ein Mann würde ja auch nicht nach erektiler Dysfunktion gefragt oder eine Frau nach dem Zustand ihrer Vaginalflora. Dieser medizinische Weg besteht übrigens aus Hormonen-Therapie, angleichender OP, Bartentfernung (Haar für Haar, schmerzhaft mit Nadel-Epilation), logopädischem Stimmtraining, teils Brustaufbau und bei einigen eben auch gesichts-chirurgischen Eingriffen. Aber das Wort „Transsexuell“ regt teils leider immer noch zu merkwürdige Phantasien an, völlig zu unrecht übrigens. Transident wäre ein neutralerer Begriff, beinhaltet aber auch diejenigen, die sich nicht als Mann oder Frau identifizieren (agender, non-binary) oder hierbei eher z.B. einen sozio-kulturellen Hintergrund haben (Crossdresser, Transvestiten, Drags, Travesti, DWT, Butches etc., wobei es aber keinerlei klare Abgrenzungen gibt, meine Einordnung für einige auch unpassend ist).
Provozierend: Sie sind als Frau mit einer Frau zusammen? „Dann könnten Sie doch auch gleich ein Mann bleiben, oder nicht?
Haha… Ganz ehrlich? Ich habe für mich zwar nie ausgeschlossen, mich auch in einen Mann verlieben zu können, aber wenn ich mich in meinem ganzen Leben eben immer nur in Frauen verliebt habe, müsste dieser Mann wohl erst noch geboren werden. Aber es geht mir ja eben nicht um sexuelle Orientierung, also nicht darum, wen ich liebe. Ja, ich bin lesbisch. Es geht um meine Identität, mein Bewusstsein als Frau. Das war schon als Kind so. Das Gewächs zwischen meinen Beinen hat mich nie interessiert. Es gab kein kindliches oder jugendliches erforschen meines Körpers. Es fühlte sich immer falsch an.
Ich habe mich mein Leben lang selbst kontrolliert, jeder Schritt, jede Bewegung, jedes Wort, Mimik, Gestik. Wollte in diese äußere Rolle passen, männlich wirken. So wurde ich erzogen. Jetzt endlich kann ich mich so geben, wie ich eigentlich immer war, keine Kontrolle mehr. Das hat natürlich auch positive Auswirkungen auf mein Selbstbewusstsein. Heute weiß ich, dass die biologischen Hintergründe der Transsexualität in der ersten Monaten der Schwangerschaft liegen. Daher war und ist dieses Selbstbild auch in den glücklichsten Zeiten, die ein Mensch erleben kann, vorhanden. Meine wundervolle Partnerin hat mich so kennengelernt, wie ich jetzt bin. Selbst mit ihrem beruflich psychologischen Hintergrund sieht sie mich als Frau, als starke, liebevolle Frau.
Mit welchen Problemen hatten Sie zu kämpfen, wodurch wurden diese ausgelöst?
Jetzt muss ich mal meine Liebeserklärung an Blomberg, an Lippe, an OWL loswerden. Ich dachte vor meinem Outing, man würde mich steinigen. Aber nein, ich verspüre fast liebevolle Akzeptanz, die mich jeden Tag zum lächeln bringt. Im Job, auch mit Kunden, gab es überhaupt keine Probleme. Ich habe in all der Zeit auch nicht ein einziges schlechtes Wort über mich oder gegen mich vernommen. Familie, Freunde, auch viele Bekannte stehen hinter mir, mögen eben wohl auch meine Offenheit und niemand hat sich distanziert. Ich weiß natürlich, dass einige auch Angst haben, falsche Fragen zu stellen, mich falsch anzureden. Aber ich habe mich verändert,nicht die Anderen, also ist es an mir, diese Ängste zu beseitigen.
Und ja, ich gehe bewusst in die Öffentlichkeit, zeige mich gemeinsam mit meiner Partnerin, als Künstlerinnen z.B. bei der Blomberger Kunstmauer, als Schriftstellerinen. Ebenso wie die wundervolle Panflötistin Hannah Schlubeck, versuche ich zu zeigen, dass Transsexualität nichts verruchtes an sich hat, nichts ist, vor dem jemand Angst haben müsste. Zu zeigen, dass wir selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind, IngenieurInnen, BeamtInnen, ProgrammiererInnen, VerkäuferInnen, FriseurInnen, KraftfahrerInnen, WissenshaftlerInnen.
Von Essen nach Blomberg. Ist es in einer Kleinstadt nicht schwieriger für Sie?
Ich wollte mir anfangs in einer größeren Stadt eine Wohnung suchen, ganz anonym. Aber wie anonym kann ich denn wirklich sein, wird nicht immer auch etwas männliches an mir erkannt werden? Das sind eben diese Fragen, diese Zweifel, mit denen Menschen wie ich sich herumplagen (und viele von uns absolut grundlos). Ich habe mich dann glücklicherweise dazu entschlossen, den Blombergern zu vertrauen. Und das war wohl genau richtig. Viele kenne ich hier seit Jahrzehnten, ich mag die Menschen hier. Durch meine Familie, meine verstorbene Frau und meinen Sohn kennen mich wohl noch viel mehr Menschen in dieser Umgebung. Und hier im Ort wissen die Menschen eben auch, dass von mir keinerlei „Gefahr“ ausgeht.
Sind Sie als „Betroffene“ in der Lage neutrale Aussagen über das Gendern zu treffen?
Betroffene? Vom Binnen-I betroffen wie jede andere Frau, ja. Ich bin ja Teil eines binären Systems, in dem zwei Geschlechter ausreichen. Ich bin nicht „divers“, ich bin eine Frau. Mir reicht also die weibliche Anrede. Aber ich kenne durch meine Arbeit in Gruppen eben auch viele, die sich selbst nicht so eindeutig als Mann oder Frau identifizieren können. Teils habe selbst ich meine Probleme, das vollkommen zu verstehen. Aber es hilft eben auch, sich in anderen Kulturen umzusehen. Die amerikanischen Ureinwohner kannten 5 Geschlechter, unter anderem die „Two Spirits“, welche wohl heute als „divers“, nicht binär, bezeichnet würden. „Two Spirits“ und Transsexuelle wie ich wurden dort übrigens sehr geschätzt, man sagte ihnen besondere Fähigkeiten nach. Auch in asiatischen Kulturen werden Menschen, die von männlich/weiblich abweichen als den Göttern nahe betrachtet. In vielen Religionen galten Transsexuelle und Nicht-Binäre als SchamanInnen und HeilerInnen. Dabei sind wir eher ganz normle Menschen.
Die westlich monotheistischen Religionen haben da eine Sicht in die Welt getragen, die in vielen Fragen sehr auf Vereinfachung setzt. Damit hat Galileo ja auch schon seine Probleme gehabt, als die Kirche auf der Erde als Scheibe im Zentrum beharrte. Eigentlich ist dieses Thema zu vielschichtig um es auf Gender-Sternchen oder Binnen-I herunterzubrechen. Wir könnten ja auch mal darüber nachdenken, ob es wirklich überall notwendig ist, geschlechtsbezogen zu schreiben, zu reden. Warum überhaupt muss beispielsweise auf Wahlbenachrichtigungen Herr XY oder Frau XY stehen, reicht dort nicht einfach der Name?
Fast zwei Drittel der Deutschen lehnen Umfragen zufolge eine gendergerechte Sprache ab. Wie sehen Sie das?
Dazu würde ich gern einmal erfahren, was sie daran ablehnen. Lehnen sie das Binnen-I ab, also „LehrerInnen“, ein Konstrukt, für das wir Feministinnen seit Jahrzehnten kämpfen? Oder lehnen sie das Sternchen oder den Doppelpunkt als Inklusion aller existierenden Geschlechter, also „Lehrer*innen“ oder „Lehrer:innen“ ab? Vom Binnen-I ist die Hälfte der Bevölkerung betroffen, eine Abwandlung des Schrägstriches mit angehängtem kleinen „innen“ (Lehrer/innen). Es existiert seit 1981 und plötzlich wird es heute zu einem Politikum. Da muss ich mich schon Fragen, ob hier einfach nur Stimmung gemacht werden soll. Das Gender-Sternchen oder den inkludierenden Doppelpunkt verstehen viele gar nicht, kennen teils weder die Nutzung noch die Hintergründe. Es wird doch niemand in seinem privaten Sprachgebrauch zur Nutzung gezwungen. Auch hier wird vieles vermischt, die Unwissenheit der Menschen für billige Propaganda genutzt, Propaganda, die einigen Umfragen zufolge leider verfängt.
Wenn es aber z.B. um Gesetzestexte geht, sollte die Form schon alle Geschlechter beinhalten. Wir können doch nicht etwas Existierendes ignorieren, nur weil wir es nicht verstehen. Die Relativitäts-Theorie verstehen auch nur wenige.Ich habe mich mit vielen Menschen ausgetauscht, deren Identität nicht männlich oder weiblich ist, habe hinterfragt, habe von ihnen gelernt und bin heute fest davon überzeugt, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, auch biologisch. Denn die Biologie des Menschen beschränkt sich nicht auf äußere Merkmale, sondern ist komplex, vielschichtig, faszinierend. Und diese Geschlechts-Identitäten haben erstmal garnichts mit sexueler Orientierung zu tun (hetero, homo, bi, pan, asexuell etc.)
Was halten Sie von der Pflichtangabe (w/m/d) bei Stellenanzeigen?
Diese Angabe ist teils leider nur Makulatur. Mir persönlich wäre es eigentlich lieber, wenn von vorn herein klar ist, wie Arbeitgeber wirklich ticken, dann kann eben jede*r selbst entscheiden, ob eine Bewerbung überhaupt in Frage kommt. Ich kenne eben auch Menschen die sich nie bei einer Firma bewerben, in der man vorbehalte gegen bestimmte Geschlechter hat.
Zwei Beispiele: Ein Gastronom möchte unbedingt eine weibliche Kellnerin einstellen, der Hochbauer unbedingt einen männlichen Maurer. Im Ergebnis wird er ohnehin einstellen wen er für richtig hält, oder? Geht es mit Abmahnungen wegen falscher Stellenanzeigen nicht ein wenig zu weit?
Die Entscheidung liegt doch immer bei den Arbeitgeber*innen, hoffe eben nur, dass niemand sich bei derartigen Chefs bewirbt. „Unbedingt weibliche Kellnerin“, (die dann noch im Mini und mit tiefem Ausschnitt servieren soll?) Sexismus lässt grüßen. Andererseits gibt es die Selbstverpflichtung von Dax-Unternehmen, eine verbindliche Frauen-Quote in der Chefetage festzulegen. Und? Der Aufschrei, dass einige diese Quote auf „NULL“ festgelegt haben, war landesweit kaum wahrnehmbar. Mit Abmahnungen werden letztlich nur kleine Unternehmen, die darin keine Erfahrung haben getroffen, auch wenn einige jede*n einstellen würden.
Weil man von Piloten, Architekten und Computerexperten spricht schließen Mädchen diese Berufe für sich aus?
Es ist ja nicht die einmalige Begegnung mit diesen Begriffen, es ist das Dauerfeuer seit dem Babyalter, welches sich in Gehirne einbrennt, im Unterbewusstsein wirkt. Aber gehen wir einmal davon aus, dass es keinen Einfluss hätte. Seit 130 Jahren Luftfahrt, bei der es auch zu Pionier*innen-Zeiten Pilot*innen gab, ist Pilot immer noch gebräuchlich. Denke, es ist lange genug und wir sollten das Wort Pilot auch im männlichen Plural streichen und verbindlich für die nächsten 50 Jahre durch Pilotin/ Pilotinnen ersetzen. Sollte doch jeder Mann problemlos mit umgehen können, oder? Ja, auch dies ist eine Maximalforderung, die wohl wieder jemand für propagandistische Zwecke aus dem Zusammenhang reißen möchte.
Führt der „aktuelle“ Sprachgebrauch wirklich zu einer Unterdrückung eines Geschlechts?
Ich bin der festen Überzeugung, dass es so ist. Ich habe selbst, weil ich 57 Jahre „als Mann“ lebte, nie direkt darunter gelitten, die Unterdrückung habe ich aber schon als Kind erkannt, kannte ja immer auch beide Seiten, hab früh vieles hinterfragt. Auch diese Sicht hat mich damals sehr früh zur überzeugten Feministin werden lassen. In meinen Berufsfeldern etwa, E-Technik und Programmierung, sind Frauen extrem selten. Es ist eben auch eine Jahrhunderte alte Unterdrückung, die wir endlich mit allen Mitteln bekämpfen müssen. Und wenn wir dazu das Binnen-I nutzen, darf es eben auch gern als „Wiedergutmachung“ gesehen werden. Und vielleicht schützt das Gender-Sternchen vor der nächsten Phase von Unterdrückung.
Verwenden Sie selbst das „Gender-Sternchen“ oder „Binnen-I“ im Schriftverkehr?
Das kommt immer auf den Kontext an, das Binnen-I nutze ich schon sehr lange, das Gendersternchen immer, wenn ich an eine mir nicht im einzelnen bekannte Gruppe von Menschen schreibe. Wenn selbst der konservative „Duden“ gegen das generische Maskulinum aufbegehrt, hat dies übrigens nichts mit „Transgender“ zu tun. Allgemein verzichte ich aber gern auf genderspezifische Ausdrücke. Ich selbst hätte eben ein Problem damit, wenn ich sagen würde, ich hätte mal eine Ausbildung als „Elektriker“ oder „Elektrikerin“ gemacht. Das eine passt heute nicht, hat eigentlich nie gepasst, das andere ist aber auf damals bezogen auch irgendwie verkehrt. Also eine „Ausbildung im Elektrohandwerk“. Der geschlechtsneutrale Plural lässt sich aber nicht überall bilden (Schüler und Schülerinnen oder für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen), was ist hier zu tun?
Lernende und Forschende?
Unterrichtete und Wissenschaffende?
Schulbesuchende und Wissensammelnde?
Schule Besuchende und in der Wissenschaft tätige?
Oder lippisch, „Schüla“ und „Wissenschaftla“, also die lateinische weibliche Endung auf „a“
statt der Endung auf „er“ (Lach). Seien wir doch kreativ.
Unsere Sprache zählt zu den präzisesten Sprachen weltweit, sie ist vielseitiger als fast alle anderen Sprachen. Nutzen wir doch einfach diese wunderbaren Möglichkeiten, die sich ergeben. Und wer mag, kann eben andere Formen wie das Gender-Sternchen nutzen.
Neusten Bestrebung nach soll nun auch das Alphabet statt mit „Anton, Berta, Cäsar…“ mit „Augsburg, Berlin, Cottbus…“ buchstabiert werden. Was sagen Sie dazu?
Sehe Probleme bei Friedrichshafen, Karl-Marx-Stadt, Karlsbad, Wilhelmshaven. Aber ich sehe keinen Zusammenhang zum „gendern“. Manchmal sollte hinterfragt werden, wer was warum in die Öffentlichkeit bringt. Denn ja, es gibt hier im Land wohl auch Bestrebungen, das Kaiserreich wieder aufleben zu lassen… Dazu könnte ich gern etwas sagen… Vor etlichen Jahren haben Meteorologen die Regelung gestrichen, Hochdruckgebiete männlich und Tiefdruckgebiete weiblich zu benennen. Das war völlig richtig und notwendig und regt niemanden auf.
Wenn man merkt, dass man durch den „Gender-Wahn“ die Bevölkerung einmal mehr spaltet, sollte man als Regierung dann nicht Einhalt gebieten?
Meine Oma sagte immer, „es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“. Eine Regierung hat nicht den Auftrag, Meinungen zu unterdrücken! Jeder stellt erstmal seine Forderungen auf, später kommt so etwas wie ein Kompromiss zustande. Bei diesem Thema haben es bestimmte politische Kräfte darauf abgesehen, die Maximalforderungen anderer, teils zusammenhanglos und überspitzt, zu veröffentlichen um Ablehnung zu schüren. Wenn dazu noch Vokabeln wie „Gender-Wahn“ lanciert werden, „Wahn“ steht ja im Kontext des Krankhaften, kommt mir das politisch eben noch sehr bekannt vor. Ich habe dutzende Diskussionen auf Internetportalen hinter mir, mich auseinandergesetzt mit Menschen, die eben Worte wie „Gender-Wahn“ nutzten. Ja, in jener Welt, also anonym, wurde ich beschimpft und beleidigt von Leuten, die eindeutig rechtspopulistisch propagandistische Aussagen wiederholten, Aussagen, die auch Hass gegen mich als Transsexuelle schüren. Deren Wissen zu dieser Thematik war aber gleich Null, Aussagen teils völlig falsch, fakenews-belastet. Einige haben sich im Verlauf der Kontroversen auch bei mir entschuldigt, mir für die Aufklärung gedankt.
Was in der Breite mal wieder fehlt, ist eine aufklärende Auseinandersetzung mit dem Thema und eine Rückkehr zur Sachlichkeit. Sprache verändert sich fortwährend, ist lebendig. Und das ist gut so. Ganz gravierend war das ab 1933 und auch nach der Befreiung vom Naziregime, aber auch nach der Wende 1989 und nach Ende der Monarchie 1918. Auch die 60er und 70er Jahre haben massive Sprachänderungen hervorgebracht. Knaben, Fräulein, vieles ist in der Versenkung verschwunden, Handy, Fernseher, vieles ist neu entstanden. Jedem Menschen steht der eigene Sprachgebrauch frei, auch Lippisch-Platt ist immer noch erlaubt. Und immer wird es Menschen geben, die mit ihren Forderungen über das eigentliche Ziel hinausschießen, ebenso wie es immer Menschen geben wird, die die Zeit zurückdrehen wollen.
Was würden Sie sich von unserer Gesellschaft und den Parteien wünschen?
Vielleicht einen wundervoll offenen Umgang mit dem Thema Transsexualität, wie ich ihn hier vor Ort erlebe. Und eine Akzeptanz dafür, dass es eben mehr als zwei Geschlechter gibt. Ich kann und will nicht erwarten, dass sich jeder damit auseinandersetzt. Von Parteien und Verbänden wünsche ich mir, einen Gang zurück zu schalten. Politisch aufgestachelte sehe ich auf beiden Seiten und die sollten eben von gemäßigten Kräften beruhigt werden.
Sabine Lange hat uns abschließend noch eine kleine Auflistung verschiedener Identitäten und Orientierungen zur Verfügung gestellt:
Geschlechtliche Identitäten:
cis => alle Geschlechtsmerkmale stimmen miteinander überein
trans => Abweichung des Geschlechts von äußeren Merkmalen
inter => körperlich beidgeschlechtlich
trans beinhaltet verschiedene Ausprägungen
körperlich:
transsexuell => äußerliche Merkmale des Gegengeschlechts
nicht-binär => keine geschlechtliche Zuordnung zu männlich oder weiblich
agender => ungeschlechtlich
sozio-kulturell:
nicht gender-konform => Intellektuell veranlasste Ablegung von Rollenbildern
Sexuelle Orientierung (teils unterteilt in sexuelle und romantische Anziehung)
hetero => Anziehung zum Gegengeschlecht
homo => Anziehung zum gleichen Geschlecht
bi => Anziehung zu männlich und weiblich
pan => Anziehung zu allen Geschlechtern
asex => keinerlei sexuelle Anziehung
definitiv nicht vollständig und die Übergänge sind fließend