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Die Kultur hat sich komplett gewandelt. In nur 60 Jahren. Von der vorwiegenden Selbstversorgerkultur zur Discounterkultur. Wissen und Können geht verloren, Kulturlandschaft geht verloren. Die Lebensmittelgewinnung ist auf industrielle Normung ausgelegt. Der Produktions-, Verpackungs,- und Transportprozess bis hin in den heimischen Kühlschrank wird dieser Normung unterworfen. Alles was der Norm widerspricht wird solange gezüchtet, angepasst, verändert bis es passt, bis die Normen und Prozesse eingehalten werden können. Alles wird so zugeschnitten dass es transportfähig verpackt werden kann. Appetitlich verpackt in tausend verschiedene Kunststoffverbindungen. Geschmack geht verloren. Erinnerung geht verloren. Kunststoff geht verloren und landet im Meer.

Jan Philip Scheibe macht sich auf die Fußreise zur Erinnerung. An die eingeweckten Kirschen und Mirabellen. Den Fruchtsaft aus dem Dampfentsafter in der Glasflasche mit dem Gumminoppen. An die Frühkartoffeln aus dem Garten. Die Zuckerschoten zum Döppen.Aus seiner Geburtsstadt Lemgo wandert er in drei Tagen in das ca. 18 km entfernte Blomberg Reelkirchen. Endpunkt seiner Reise ist das dortige Wasserschloss. Er trägt seinen dunkelgrauen Performanceanzug und zieht, fast wie Mutter Courage, ein Gefährt mit sich auf dem allerlei mobile holz-, und solarbefeuerte Kochgerätschaften installiert sind.Auf dem Weg macht er Station bei alten Bekannten die ihren Bauerngarten noch bewirtschaften. Vielleicht kann er die ein oder andere Kohlrabi abstauben oder in den Kirschbaum steigen. Wieder unterwegs, sammelt er alles Essbare was an Sträuchern und Bäumen oder in oder auf der lippischen Erde wächst. Vielleicht reicht ihm jemand was über den Gartenzaun. An besonderen Ort macht er halt und feuert seine Öfen an oder richtet sie nach der Sonne und kocht ein. Er füllt Weckgläser, kocht Marmelade. Macht Saft. Abends leuchten die Lichterketten an seinem Gefährt. Die Wimpel wehen im Sommerwind. Vielleicht kommen ein paar Leute zum Gespräch über den Kulturwandel, den Verlust oder die Erleichterungen die die Discounterkultur mit sich bringt.

Angekommen am Schloss Reelkirchen gibt es ein Essen mit den unterwegs gesammelten Lebensmitteln. Kohlrabi in Mehlschwitze und Frühkartöffelchen. Oder doch ein Lippischer Eintopf?

Das Projekt wird per Video und Film dokumentiert und zeitnah in den sozialen Medien präsentiert. „Wenn es reift“ ist Teil des Gesamtprojektes „EAT-ART-CONNECTIONS“, das in Kooperation mit der Initiative Stadtkunst-Herten/Wasserschloss Herten stattfindet. Es wird gefördert von der LWL-Kulturstiftung.

Zu Jan Philip Scheibe:

Die künstlerische Arbeit von Jan Philip Scheibe (*1972, Lemgo) wird im wesentlichen geprägt von Installationen und Performances im öffentlichen, urbanen Raum und in der freien Landschaft oft verbunden mit Licht. Dabei analysiert er die Rezeption und romantische Verklärung von Natur und die Rolle, die der Mensch in der Gestaltung von Landschaft spielt. Seine Interventionen an ausgewählten Orten, mit außergewöhnlichen Materialien und Methoden, machen Verborgenes sichtbar. Sie kreieren real und gedanklich neue, bislang ungesehene Räume. Jan Philip Scheibe lebt und arbeitet in Hamburg.

Mehr auf seiner Website: https://www.jan-philip-scheibe.de