Warum hört man eigentlich nie etwas über Herrn Holle? Wofür wird Gold-Marie in Wirklichkeit belohnt? Warum hätte Pech-Marie eine Gewerkschaft gebraucht? Und was hat das Ganz mit „Me Too“ zu tun? Das Theaterstück „Frau Holle – mehr als nur ein Märchen“ des Literaturkurses der Jahrgangsstufe 11 von Frau Lothmann überraschte am Montag, den 11. Juni 2018, am HVG die Zuschauer mit einer neuen Sichtweise auf das bekannte Märchen „Frau Holle“.

 

Bei „Frau Holle“ denkt man zunächst an das fleißige, gute Mädchen Gold-Marie, das am Ende für ihre Arbeit bei Frau Holle reich belohnt wird, und an das faule Mädchen Pech-Marie, das keinerlei Interesse daran zeigt, auch nur einen Handschlag zu tun. Für ihre Faulheit wird sie mit Pech übergossen. Die Moral vom bösen und guten Mädchen wurde über so viele Generationen zur „guten“ Erziehung zu braven Kindern erzählt. Man hat jedoch herausgefunden, dass sich die Geschichte von Frau Holle und den beiden Schwestern anders zugetragen hat, als es im Märchen dargestellt wird.

 

Die Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses haben das zum Anlass genommen, das Stück einmal aus der Perspektive von Pech-Marie zu betrachten und Herrn Holle genauer unter die Lupe zu nehmen. Mit ihrem neuen Wissen über den wahren Hintergrund des Märchens schrieben sie ein eigenes Theaterstück, das in Zeiten von „Me Too“ an Brisanz nicht verliert: Ein einflussreicher Mann – Herr Holle – , der seine Machtposition ausnutzt, um sich an unter ihm stehenden Mädchen zu vergehen, während seine Frau als Mitwisserin und Gehilfin die Situation sogar noch verschärft.

 

Auf einem Schülerausflug verliert Leonie (Lina Bekiersch) ihre Gruppe und findet sich auf einem Friedhof wieder. Dort trifft sie am Grab von Schwester Greta auf einen Pater (Danny Herber), der ihr die Geschichte von Schwester Greta erläutert, die eigentlich Pech-Marie war und als ungeliebtes Kind eine schwere Zeit hatte. In Pech-Maries Nachbarstadt lebten Herr und Frau Holle (Erich Kombeiz und Lea-Charlotte Kerseboom), die sehr einflussreich waren.

 

Sie lebten in einem Schloss und suchten ein Hausmädchen. In der Hoffnung, dass ihre von den Eltern geliebte Schwester Gold-Marie (Lea Gödeke) dort gute Manieren erlernen und durch ein wenig Geld bessere Heiratsaussichten haben würde, schickten die Eltern (Anes Hakalovic und Paula Flor) sie dorthin. Gold-Marie arbeitete daraufhin ein Jahr als Hausmädchen bei den Holles. Sie kam mit viel Gold zurück, worüber ihre Eltern sehr stolz waren.

 

Pech-Marie (Anna Maria Hartmann) wunderte sich, dass ihre Schwester so viel Gold für eine meist schlecht bezahlte Arbeit bekam. Wie Gold-Marie ihrer Schwester dann beichtete, bekam sie das Gold dafür, dass sie in Liebesdingen Herrn Holle zu Diensten gewesen war. Um noch mehr Geld zu erhalten, schickten die Eltern nun auch Pech-Marie zu den Holles. Doch diese wollte sich nicht auf die sexuellen Forderungen von Herrn Holle, der sie stetig bedrängte, einlassen.

 

Weder die anderen Bediensteten (Nikolas Fricke, Vivianne Dojan, Julia Hildebrandt, Svetlana Friesen) noch Frau Holle konnten oder wollten Pech-Marie helfen. Insbesondere Frau Holle bestrafte sie sogar mit noch mehr Arbeit und unsinnigen Tätigkeiten. Ihr innerer Konflikt zwischen ihren dunklen Gedanken (verkörpert von Ole Fuchs) und ihrer Hoffnung (Melina Epp) wurde immer stärker und sie entschloss sich zu gehen, auch wenn dies bedeutete, dass sie nie mehr zu ihrer Familie zurückkehren konnte.

 

Als „Belohnung“ wurde sie daraufhin von den Holles mit Pech übergossen. Auf ihrer Flucht von düsteren Gestalten (u.a. Ian Durgeloh, Jan-Hendrik Krüger, Elise Dajlani-Zeise) bedrängt, brach sie zusammen und konnte sich nur noch mit letzter Kraft in ein Kloster retten. Was sagen uns Märchen über die Wirklichkeit?

 

Die Schülerinnen und Schüler rissen diese Fragestellung in ihrem Stück auf und zeigten in Bestleistung ein Schauspiel, das die Zuschauer begeisterte. Mit viel Wortwitz, dramatischen Handlungen und bildlich gelungenen Darstellungen schufen sie ein plastisches Erlebnis der wahren Geschichte der Pech-Marie. Mit Hilfe eines gut durchdachten Bühnenbildes (Ian Durgeloh) und sehr guter Teamarbeit schufen sie zudem eine Illusion von wechselnden Räumlichkeiten.

 

Auch durch die Unterstützung von Ton und Licht (Benjamin Spittel, Dennis Gillich) führten sie die Zuschauer wunderbar durch das Stück. Hier konnte man wieder einmal sehen, welche tollen Seiten Theater, Kunst und Musik bei Schülerinnen und Schülern zum Vorschein bringt, die im normalen Schulalltag schnell untergehen können. Alles in allem war dies ein sehr gelungener Abend.