Was für ein Start ins Handballjahr 2021! Sieben Sekunden vor dem Ende nahm TBV-Trainer Florian Kehrmann in der letzten Auszeit das vorweg, worin sich alle Lipper nach diesem Nachmittag in Flensburg einig waren und attestierte seinen Jungs eine „geile Leistung“. Durch das 27:27 (12:14) beim Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt nimmt der TBV Lemgo Lippe als erstes Team in dieser Saison Zählbares aus der Flens-Arena mit. Der TBV hatte sogar mehrere Finger am ganz großen Wurf – doch ein dänischer Weltmeister wusste dies Sekunden vor Schluss noch sehenswert zu verhindern.

 

Aber: „Was die Mannschaft heute kämpferisch als Team geleistet hat, war unglaublich“, resümierte Kehrmann den starken Liga-Einstand. Ohne Isaias Guardiola und Andreas Cederholm (beide muskuläre Probleme), Finn Zecher (Finger) und Alexander Reimann (Knie-OP) musste der TBV die hohe Auswärtshürde nehmen. Dafür wechselten sich Frederik Simak und Bobby Schagen zunächst im rechten Rückraum ab, Lukas Zerbe wirbelte auf Rechtsaußen. Und trotz der Ausfälle und fehlenden Spielpraxis schafften es die Lipper im ersten Durchgang, den seit vier Monaten ungeschlagenen Gastgeber an der kurzen Leine zu halten.

 

Nachdem Zerbe und Bjarki Már Elísson den TBV nach zwei Minuten erstmals in Führung gebracht hatten (2:1), erspielten sich die Flensburger in Person von Johannes Golla am Kreis die erste Zwei-Tore-Führung an diesem Nachmittag. Selbiger sah kurz danach die erste Zeitstrafe gegen sich. Die anschließende Überzahl nutzten die Lipper, um sich wieder heranzupirschen. Elísson per Strafwurf und Jonathan Carlsbogård per Tempogegenstoß besorgten nach etwas mehr als zehn Minuten den 5:5-Ausgleich. Der TBV stand defensiv sehr geordnet, kam gut in den Rückzug, denn das Angriffsspiel beider Teams verlief nicht fehlerfrei.

 

Nachdem ein bestens aufgelegter Zerbe erneut den Ausgleich zum 7:7 besorgt hatte, zog die Spielgemeinschaft durch ein Golla-Doppelpack zunächst wieder auf zwei Tore davon. Kehrmann reagierte, stellte mit dem eingewechselten Marcel Timm den Mittelblock um und ließ Dani Baijens fortan im rechten Rückraum wirbeln. Nachdem Flensburg ab der 23. Spielminute erneut in Unterzahl agieren musste, kam der TBV wieder heran. Mit seinem vierten Treffer stellte Zerbe per Tempogegenstoß auf 10:10.

 

Wenige Minuten vor der Halbzeit wäre gar eine Führung möglich gewesen, doch TBV-Kapitän Kogut scheiterte an SG-Schlussmann Torbjorn Bergerud. Stattdessen ging der Gastgeber durch einen Siebenmeter wieder in Front. Der erste Durchgang endete für den TBV in Unterzahl – Gedeón Guardiola hatte Flensburgs Gøran Søgard von den Beinen geholt -, die Lipper mussten in der letzten Minute noch zwei Gegentreffer schlucken.

 

Mit Beginn der zweiten Hälfte schaffte es der in Rot spielende TBV, auf den ohnehin bereits guten Auftritt noch eine Schippe draufzulegen. Mit Zerbe und dem eingewechselten Fynn Hangstein glichen zwei Lemgoer Eigengewächse nach 34 Minuten zum 15:15 aus, dann ließ Peter Johannesson auf der Linie seine Klasse erst gegen Marius Steinhauser und wenig später gegen Søgard aufblitzen. Ein TBV-Akteur lief in der Folge richtig heiß: Dani Baijens läutete die Schlussviertelstunde mit einem Doppelpack zur ersten Drei-Tore-Führung an diesem Tag hin. Spätestens jetzt dürften die Lipper Morgenluft gewittert haben. Bahnte sich da etwa Historisches an?

 

Nach der TBV-Auszeit in Minute 46 agierten die Gäste fortan in Überzahl. „Das hat uns in dieser Phase gutgetan, um Druck vom Angriff zu nehmen“, kommentiere Kehrmann nach Spielende seinen Schachzug. Fünf Minuten vor Schluss glichen die Norddeutschen aus, doch davon ließ sich der TBV nicht aus der Bahn werfen. Lukas Zerbe behielt vor dem Flensburger Gehäuse zum siebten Mal die Nerven – und Gedeón Guardiola erhöhte nach einer Monsterparade des eben erst eingewechselten Mark van den Beucken im Gegenzug auf 27:25.

 

Dass der TBV knapp Historisches verpasste – seit Dezember 2017 sind die Flensburger zuhause ungeschlagen – war letzten Endes der individuellen Klasse des dänischen Weltmeisters Mads Mensah Larsen geschuldet, der den Ball zehn Sekunden vor Ende in den Winkel wuchtete. Doch als zum letzten Mal das Schiffshorn durch die Flensburger Festung hallte, kannte die Freude über den 16. Punkt im Lager des TBV keine Grenzen mehr.

 

Kehrmann am Sky-Mikro: „Heute waren die Voraussetzungen so, dass nur die wenigstens so etwas erwartet haben. Nach der langen Vorbereitung wussten wir nicht, wo wir stehen, hatten unter der Woche noch zwei Ausfälle auf einer Position zu beklagen. Wir haben in der ersten Halbzeit eine überragende Abwehr gestellt. Zum Ende schwanden etwas die Kräfte, aber wir haben es über die Zeit gerettet. Heute hätten wir sogar einen Sieg verdient, aber mit dem Punkt können wir gut leben. Wichtig ist es jetzt, am Boden zu bleiben.“

 

TBV Lemgo Lippe: Johannesson (6 Paraden), van den Beucken (1 Parade); Elísson (5/3), Kogut, Simak, Carlsbogård (6), Schagen, Timm (1), Hangstein (2), Zerbe (7), G. Guardiola (2), Baijens (4); Blaauw, Geis.