Die mannschaftliche Geschlossenheit war der X-Faktor: Ein denkwürdiges OWL-Derby, das zeigten nicht nur die Jubelszenen nach Spielende, hat der TBV Lemgo Lippe mit 29:27 (14:14) für sich entscheiden können. In einem Abnutzungskampf gegen GWD Minden bewiesen die Lipper die besseren Nerven und bauten ihre Siegesserie auf vier Spiele aus. „Ein paar Spieler sind heute über den Schmerzpunkt hinausgegangen. Wie die Mannschaft mit dieser Situation umgegangen ist, macht mich unheimlich stolz“, konstatierte TBV-Trainer Florian Kehrmann auf der anschließenden Pressekonferenz.
Sehr viel Spannung und sehr viele Überraschungen hatte Lemgos Trainer vor dem 55. OWL-Derby angekündigt. Zumindest letzteres sollte sich noch vor dem Anwurf mit einem Blick auf den Spielberichtsbogen bewahrheiten: Gleich sieben Ausfälle gegenüber dem letzten Auftritt in Ludwigshafen galt es für Kehrmann aufzufangen, unter anderem musste er mit Maximilian Schalles (Team HandbALL) auf rechts und Fynn Hangstein über links eine neue Flügelzange aufbieten. Neben Bjarki Már Elísson und Lukas Zerbe konnten unter anderem auch Bobby Schagen und Dani Baijens nicht mitwirken. In Zahlen ausgedrückt, fehlten dem TBV allein durch den Wegfall dieses Quartetts 267 Tore und 50 Assists. Darüber hinaus fehlten Finn Zecher, Alexander Reimann und Linus Geis.
Doch es gab auch Erfreuliches zu vermelden: So kam Andreas Cederholm ausgerechnet gegen seinen Ex-Klub zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz in diesem Jahr. Auch Christoph Theuerkauf, der inzwischen den TBV-Nachwuchs unter seine Fittiche genommen hat, sprang zum sechsten Mal in dieser Saison in die Bresche. Und weil mit Elísson und Zerbe die beiden etatmäßigen Siebermeterschützen ausfielen, übernahm Theuerkauf gleich in der 2. Spielminute die Verantwortung und drosch das Spielgerät ansatzlos an GWD-Keeper Malte Semisch vorbei ins Netz zum 1:1.
Fortan wechselten sich beide Teams zunächst mit dem Torewerfen ab. Minden legte vor, der TBV zog gleich. Weil Mindens Rückraumshooter Christoffer Rambo zunächst übers Tor warf und wenig später am glänzend parierenden Peter Johannesson scheiterte, gingen die Lipper durch Fynn Hangstein erstmals in Führung, als dieser in der 13. Spielminute einen Tempogegenstoß zum 6:5 vollendete. Der knappe Vorsprung hielt allerdings nur kurz. Als sich die Gäste mit zwei Toren abgesetzt hatten, nahm Kehrmann die erste Auszeit, ließ fortan Cederholm und Hangstein neben Taktgeber Jonathan Carlsbogård im Rückraum agieren. Isaias Guardiola und TBV-Kapitän Andrej Kogut bekleideten die Außenpositionen.
Doch weil der Lemgoer Angriffsmotor etwas ins Stocken geriet, war GWD durch einen 4:0-Lauf auf 8:12 davongezogen. „Da hat uns einfach gute Abwehrarbeit gefehlt. Wir kamen überhaupt nicht ins Tempospiel. Danach haben wir versucht, ihnen die ersten Kreuzungen zu nehmen und kamen über die Abwehr dann besser ins Spiel“, bilanzierte Kehrmann auf der Pressekonferenz die ersten 20 Minuten.
Denn auch seine zweite Prognose sollte sich von da an bewahrheiten: Seine Mannschaft kämpfte sich durch Treffer von Carlsbogård, Cederholm und Theuerkauf per Tempogegenstoß zurück ins Spiel. Und weil auch den Grün-Weißen die Zielstrebigkeit abhanden ging, gingen die Lipper durch ein Hangstein-Doppelpack kurz vor dem Seitenwechsel wieder mit 14:13 in Führung. Das letzte Wort gehörte jedoch Minden, so dass es beim Stand von 14:14 in die Kabinen ging.
Nach der Pause stellte zunächst Isaias Guardiola mit einem lupenreinen Hattrick seine Angriffsqualitäten unter Beweis. Auch Lemgos letzte Instanz, Peter Johannesson, wusste sich im zweiten Durchgang gleich mehrfach auszuzeichnen, so auch in Minute 42, als er zunächst einen GWD-Strafwurf und auch den anschließenden Abpraller von Mindens Mats Korte sehenswert entschärfte.
Die Doppelparade war eine mit Signalwirkung, denn in den nächsten Minuten riss der TBV wieder das Ruder an sich: Maximilian Schalles mit seinem vierten Tor und Carlsbogård stellten nach einer Dreiviertelstunde auf 21:20. Diese Führung gaben die Lipper durch großen Kampfgeist nicht mehr aus der Hand. Als Dauerbrenner Carlsbogård, der 60 Minuten durchackerte, elf Sekunden vor Schluss den letzten Angriff zum 29:27 verwertete, kannte der Jubel über den wettbewerbsübergreifend 38. Derbysieg in der Historie dieses OWL-Duells im Anschluss keine Grenzen mehr.
GWD-Trainer Frank Carstens: „Für uns fühlt sich das ziemlich bitter an. Wir haben uns heute natürlich etwas ausgerechnet und gesehen, dass Lemgo nicht komplett war. Wir waren nicht in der Lage, den Ausfall von Doruk Pehlivan zu ersetzen. Das hat der TBV heute deutlich besser hingekriegt. Leider sind wir heute an unseren Nerven gescheitert. Wir haben uns zu keinem Zeitpunkt freigespielt, obwohl wir einige aufflackernde Momente hatten, in denen wir uns über die Abwehr Konterbälle holen konnten. Gratulation an Lemgo zu dieser sehr starken Leistung und zu dem verdienten Sieg.“
TBV-Trainer Florian Kehrmann: „Mit diesem Sonntag enden für uns drei sehr ereignisreiche Wochen. Jeder hat heute seinen kleinen Teil zu diesen zwei Punkten beigetragen. Wir freuen uns, dass wir dieses Derby spielen konnten. Das Spiel hat viel Derbycharakter, viele sehr emotionale Szenen gehabt und wir haben ein tolles Handballspiel gesehen, weil sehr viel Spannung drin war. Aber die Zuschauer – und das werde ich auch nicht müde zu betonen – haben heute wieder einmal gefehlt. Ich hoffe, dass das im nächsten Derby anders sein wird.“
TBV Lemgo Lippe: Johannesson (12 Paraden), van den Beucken; Kogut (1), I. Guardiola (4), Carlsbogård (6), Theuerkauf (4/2), Timm (1), G. Guardiola, Hangstein (5), Cederholm (4), Schalles (4), Hollstein, Herz, Oetjen.