Sieben Tore lag der TBV Lemgo Lippe zeitweise hinten – und behielt am Ende eines echten Handball-Krimis dennoch einen verdienten Punkt in der Phoenix Contact-Arena. Mit dem 26:26 (9:15) gegen FRISCH AUF! Göppingen teilte sich der TBV erstmals auf eigener Platte die Punkte – und dürfte sich nach dieser Dramaturgie dennoch wie der Sieger gefühlt haben.
Nur eine Veränderung gab es gegenüber dem Heimspielaufgebot gegen Stuttgart: So überließ Christoph Theuerkauf dem wiedergenesenen Marcel Timm die Rolle am Kreis, der für den Angriff in die Anfangssieben rotierte. Für Bobby Schagen wirbelte zunächst Lukas Zerbe über den rechten Flügel. Mit dem 700. Saisontor des TBV eröffnete Isaias Guardiola den Torreigen. Beide Mannschaften brauchten zunächst etwas Anlaufzeit, ehe sich die Filstaler nach zehn Minuten erstmals mit zwei Toren absetzen konnten.
Neben der aggressiven und kantigen Deckung der Gäste, vor der Kehrmann im Vorfeld ausdrücklich gewarnt hatte und die den Lemgoern immer wieder erfolgreich den Anlauf nahm, bereitete dem Gastgeber auch zunehmend die fehlende Konsequenz im Abschluss Probleme. Als FRISCH AUF! erstmals in Person seines Abwehrchefs Jacob Bagersted eine Zeitstrafe und den ersten Strafwurf gegen sich sah, verweigerte Bjarki Már Elísson die Einladung zum 5:7.
Per Tempogegenstoß erhöhte stattdessen Bozic-Pavletic, weil Timm auf der anderen Seite den Ball nicht mehr zu fassen bekam. Und als Isaias Guardiola kurz darauf den Ball nur an den Pfosten wemmste, zogen die bissigeren Gäste im Gegenzug durch Marcel Schiller erstmals mit fünf Toren davon. Kehrmann reagierte, stellte in der Abwehr auf 5:1 um und forderte von seinen Mannen vor allem eins: mehr Emotionen.
Nachdem Lukas Zerbe seinen siebten Strafwurf in dieser Saison verwandelt hatte, hätte der TBV kurz darauf auf drei Tore verkürzen können, doch der Pass von Frederik Simak landete in Göppinger Händen. Obwohl Peter Johannesson in Durchgang eins auf sechs Paraden kam, begünstigten einfache Fehler seiner Kollegen, dass Göppingen kurz vor dem Seitenwechsel auf sechs Tore davongezogen war. Für den Höhepunkt einer aus Lemgoer Sicht ernüchternden ersten Hälfte sorgte Göppingens Topscorer Schiller, als er einen langen Pass seines Keepers im Sturzflug an Johannesson vorbeizwirbelte.
Was dem TBV in der ersten Halbzeit noch gefehlt hatte, rundete die bis dato stärkste Phase der Lipper bis zur Göppinger Auszeit ab: Gedeón Guardiola eroberte den Ball, schickte Zerbe auf die Reise, der wiederum Elísson bediente. Nur noch 13:16. Der TBV-Express rollte weiter – auch dadurch bedingt, dass den Gästen entweder Alu oder Johannesson im Weg stand. Erst Schiller brach den Torlos-Bann seiner Mannschaft nach knapp neun Minuten zum 15:17. 45 Minuten waren gespielt, als sich Timm einen Strafwurf „erstemmt“ hatte, den Elísson entschlossen zum Anschlusstreffer verwandelte. Und kurz darauf war der TBV endgültig zurück im Spiel: Erneut Elísson traf per Gegenstoß zum umjubelten 18:18. Weil dem TBV in der Folge erneut etwas die Effektivität abging – unter anderem scheiterte Elísson vom Strich -, stellte das nun wieder dynamischere Göppingen in der 49. Minute auf 18:21.
Unterdessen war Simak nach seinem Treffer an die Lattenunterkante im Kreis liegengeblieben, kam jedoch mit dem Schrecken davon. Als die Schwaben die kritischste Phase überstanden haben schien und durch Schiller zum 21:25 netzten, bewies Lemgo erneut Moral und kam per Doppelschlag durch Timm und Jonathan Carlsbogård zum 23:25. Und als noch etwas mehr als eine Minute zu spielen war, durchbrach erneut der Schwede das Göppinger Zentrum, traf zum Anschluss – und weil Göppingens Tim Kneule ihm dabei in den Wurfarm griff, mussten die Gäste die letzte Minute in Unterzahl überstehen.
Ein Offensivfoul der Göppinger ließ den Ballbesitz zehn Sekunden vor Schluss noch einmal wechseln. Auszeit TBV – und mit dem letzten Angriff belohnte sich Lemgo für eine starke zweite Hälfte: Cederholm auf Carlsbogård, der durch die Überzahl die Lücke fand und mit seinem fünften Treffer den umjubelten und verdienten Punkt eintütete. Entsprechend stolz über das Erreichte zeigte sich auch Marcel Timm kurz darauf am Sky-Mikro: „Heute haben wir gesehen, was man mit Willen alles bewegen kann. Wir spielen gegen einen Topverein, legen in der zweiten Halbzeit so ein Abwehrspiel hin, machen kaum Fehler und jeder Spieler brennt, diesen entscheidenden Ball im Tor unterzubringen. Darum liebe ich diesen Sport.“
Auch Kehrmann nahm den etwas unverhofften Punktgewinn gerne mit: „Wir haben heute wieder viele Dinge gesehen, die den Handballsport auszeichnen. In der ersten Halbzeit haben wir Göppingen nicht den Anlauf nehmen können. Uns fehlten die einfachen Tore aus der Abwehr. Vorne haben wir uns schwerer getan als zuvor. Es waren erneut Kleinigkeiten, die aber dafür gesorgt haben, dass wir zur Halbzeit so gut wie tot waren. Dann wurde es etwas lauter in der Kabine. Eigentlich wollten wir es erst ruhiger angehen lassen und Schritt für Schritt rankommen.
Und dann ist man plötzlich nach 36 Minuten auf zwei Tore dran. In dieser Phase macht Göppingen Fehler – und wir bestrafen. Trotzdem sind solche Phasen auch immer gefährlich, weil man viel Kraft und Energie verbraucht. Wer in der 58. Minute mit drei Toren hinten liegt, muss schon sehr an sich glauben und konsequent genug sein. Das war ein Punkt der Moral und der ganzen Mannschaft. Jeder hat seinen Teil dazu beigetragen.“
TBV Lemgo Lippe: Johannesson (12 Paraden), Zecher; Elísson (7/2), Kogut (1), I. Guardiola (2), Simak (2), Carlsbogård (5), Schagen, Timm (1), Hangstein, Zerbe (2/1), G. Guardiola (1), Cederholm (4), Geis, Reimann, Baijens (1).