Die Autorin Gusel Jachina  (© George Kardava).

Gusel Jachina zählt zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Autorinnen Russlands der Gegenwart. Ihre bildhafte Erzählkunst, in der sie über die dunkelsten aber auch hierzulande weitestgehend unbekannten Kapitel der europäischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts spricht, zieht Leser weltweit in ihren Bann. Stets geht es in Jachinas Romanen um das Individuum in stürmischen Zeiten des sowjetischen Totalitarismus. Bei ihrem aktuellen Roman handelt es sich um eine Rettungsaktion von Kindern aus der tatarischen Metropole Kasan ins südliche Samarkand, während der großen Hungersnot 1921-1923, die Russland im Bürgerkrieg ergriffen hatte.

 

Von einem Ex-Rotarmisten und einer Kinderkommissarin buchstäblich wie aus dem Nichts zusammengestellte Mannschaft und ein auf die Schnelle wild zusammengefügter Zug bringen die fünfhundert Kinder auf einer Strecke von mehr als viertausend Kilometern durch eine vom Bürgerkrieg zur apokalyptischen Szenerie entstellte Landschaft Zentralasiens in das brotreiche Land an der früheren Seidenstraße.

 

Dieses Kapitel ist eine der größten Lücken in der kollektiven Erinnerung, die aus fünf Millionen Menschen besteht, so die Autorin in einem Interview im Bayerischen Rundfunk. Bis heute wird eine der größten durch Menschen verursachten humanitären Katastrophen der europäischen Neuzeit kaum wahrgenommen. Aktueller denn je erscheint vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine die Frage, wie man in Zeiten von Krieg und Diktatur sich seine Menschlichkeit bewahren kann und wie Menschen über sich hinauswachsen, wenn es darum geht Leben zu retten.

 

Von einem Teil der ideologisch aufgeheizten Öffentlichkeit des heutigen Russlands angefeindet, die jegliche kritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit als unpatriotisch missbilligt, aber von der Leserschaft umso mehr geliebt, legt die Autorin auch mit diesem bereits 2021 im Original erschienen Roman den Finger in die offenen Wunden der Kollektiverinnerung. Von der aus Tatarstan stammende Schriftstellerin erschienen bereits die Romane „Suleika öffnet die Augen“ sowie „Wolgakinder“. Diese wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. Schon ihr erster Roman wurde verfilmt und in acht Folgen ausgestrahlt.

 

Aus ihrem aktuellen Roman „Wo vielleicht das Leben wartet“, dessen deutsche Übersetzung im Aufbau Verlag erschien und von Helmut Ettinger übersetzt wurde, liest die Autorin im Foyer des Landestheaters Detmold am Samstag, den 29. Oktober ab 19:30. Die Veranstaltung wird moderiert von dem Literaturjournalisten Mirko Schwanitz und ist ein Kooperationsangebot des Landestheaters Detmold und des Kulturreferates für Russlanddeutsche am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte.