Auf der Protestkundgebung der NRW-Krankenhäuser am gestrigen Mittwoch, den 20. September, vor dem Landtag in Düsseldorf unter dem Motto „Die beste Medizin: saubere Finanzierung“ erklärt der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Hans-Albert Gehle:

 

„Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Anblick von hier oben ist überwältigend! Wenn so viele Menschen heute hier vor den Landtag kommen, kann niemand dort drinnen, kann niemand in diesem Land sagen, er hätte es nicht mitbekommen. Wir haben heute schon viel über Geld gesprochen, darüber, dass die Kliniken hier in NRW und in ganz Deutschland wirtschaftlich stabil sein müssen. Das ist auch richtig und wichtig!

 

Aber ich stehe hier nicht nur als Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und Landesvorsitzender des Marburger Bundes, sondern vor allem als Arzt vor Ihnen. Ich sage Ihnen, was mir und meinen Kolleginnen und Kollegen die größte Sorge macht: Wir sind äußerst besorgt, dass wir die Patientinnen und Patienten nicht mehr so versorgen können, wie diese es brauchen – mit einer Versorgung auf hohem Niveau, die überall im Land gut zu erreichen ist. Ohne Personal kein Krankenhaus, ohne Personal bleibt jeder Patient allein. Wenn sich nicht ganz schnell etwas ändert, ist das alles in Gefahr! Ich sage klar und deutlich: Es brennt lichterloh!

 

Wir reden also nicht nur über Geld, sondern über ein Versorgungsproblem: Wir reden über Fachkräftemangel. Bislang war es so, dass Ärztinnen und Ärzte, dass die Menschen in der Pflege und in den anderen Berufsfeldern im Krankenhaus den Laden schon irgendwie am Laufen gehalten haben. „Sie werden es schon machen“, damit rechnet man in der Politik und bei den Kassen ganz fest. Doch was hat das für eine Signalwirkung nach außen! Wer soll sich unter diesen Umständen neu für die Arbeit in einer Klinik begeistern? Ob jemand in Berlin auf dem Schirm hat, dass in Krankenhäusern auch Berufsnachwuchs aus- und weitergebildet wird? Ein geschlossenes Krankenhaus kann keinen Facharzt weiterbilden – und wir werden jeden einzelnen brauchen.

 

Einige Zahlen: Marburger Bund-Monitor 2022: 25 Prozent der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen wollen ihren Beruf aufgeben, 18 Prozent überlegen noch. Kammerdaten: Flucht in Teilzeit. Und in allen anderen Gesundheitsberufen ist es eher noch schlechter. Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte (VLK): 50 Prozent Chef- und Oberärztinnen und -ärzte sehen, dass ihr Krankenhaus mit starken Defiziten bis hin zur Insolvenz zu kämpfen hat. Sie sehen die Patientenversorgung akut gefährdet. 84 Prozent der Teilnehmenden geben an, dass die Patientenversorgung an den Krankenhäusern durch den fehlenden Finanzausgleich für die gestiegenen Betriebskosten gefährdet ist.

 

Sehr geehrter Herr Lauterbach: Am Ende bleiben die alleine, die nicht gehen können, am Ende drohen unsere Patientinnen und Patienten zu verbrennen! Und das wollen wir nicht! Deshalb sind wir hier!! Lieber Herr Lauterbach, meinen Sie fehlender Inflations- und Tarifausgleich hilft uns? Hilft unseren Patienten?

 

Es steht außer Frage, dass unsere Krankenhäuser eine Reform brauchen. In Nordrhein-Westfalen sind wir dabei sogar schon sehr viel weiter als in anderen Bundesländern, und wir sind alles in allem auf einem guten Weg. Es ist deshalb besonders bitter zu sehen, wenn es einigen unserer Krankenhäuser wirtschaftlich so schlecht geht, dass sie aufgeben müssen. Einige werden die Reform wohl gar nicht mehr erleben. Wir haben uns in NRW an einen Tisch gesetzt, manchmal auch zusammengerauft – und jetzt soll das alles abgewürgt werden, weil angeblich kein Geld da ist? Das kann nicht im Sinne der Menschen und Patienten hier im Land sein!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Ärztinnen und Ärzte stehen mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege und den vielen anderen Berufen im Krankenhaus für die Versorgung der Patientinnen und Patienten ein. Wir halten den Kopf hin und gehen an unsere Grenzen und vielfach auch darüber hinaus. Aber wir brauchen dafür einen verlässlichen Rahmen, der diese Arbeit auch ermöglicht. Die bisherige Krankenhausfinanzierung hat gezeigt, dass sie diesen Rahmen nicht schaffen kann.

 

Ich sage es deshalb ganz klar: Die DRG als Finanzierungsgrundlage müssen weg, der Ausgleich für die Tarifsteigerungen muss für ALLE Berufsgruppen im Krankenhaus auf Dauer gesichert sein. Und auch der Inflationsausgleich muss so gestaltet werden, dass er tatsächlich etwas ausgleichen kann. Wir erwarten von den Menschen dort drüben im Landtag, von der Politik in Berlin und von den Krankenkassen, dass sie das einsehen und endlich entsprechend handeln!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Landesvorsitzender der Gewerkschaft Marburger Bund wurde, stand ich schon einmal hier vor dem Landtag. Damals haben die Kolleginnen und Kollegen und ich gedacht, so geht es nicht weiter. Ich dachte, es reicht – Wir haben die Schnauze voll. Als ich Präsident der Ärztekammer wurde, habe ich in meiner Antrittsrede gesagt, meine Mutter heißt Fallpauschale, mein Vater Budgetierung. 2010 waren wir mit über 100.000 Menschen in Berlin vorm Brandenburger Tor. Das Ergebnis heute: Das Wasser steht uns bis zum Hals. Es muss jetzt Zusagen geben, sonst kommen wir mit 1 Million zum Brandenburger Tor!

 

Pressemeldung: Ärztekammer Westfalen-Lippe