Schafft ein Aufsteiger im ersten Jahr den Klassenerhalt, fällt nach den Lobeshymnen über das Erreichte unweigerlich eine der wohl bekanntesten Phrasen im Sport: Das zweite Jahr ist immer das schwerste. In genau diesem Abschnitt befindet sich nun auch HBW Balingen-Weilstetten – und nach dem 6. Spieltag und 0:12 Punkten herrscht bei den noch sieglosen Schwaben Katerstimmung. Doch gerade weil angeschlagene Boxer als besonders gefährlich gelten, erwartet auch TBV-Trainer Florian Kehrmann am Mittwochabend eine „topmotivierte Truppe, die versuchen wird, sich mit allen Mitteln zu wehren, um endlich diese ersten Punkte in der Liga zu holen.“ Anwurf in der Phoenix Contact-Arena ist um 19:00 Uhr.

 

Nach knackigem Auftaktprogramm gegen Melsungen (23:25) sowie den darauffolgenden Derby-Pleiten gegen Göppingen (23:28) und Stuttgart (28:30) mussten die Gallier in eine Englische Woche ohne Zählbares einwilligen. Ließen sich diese Niederlagen anfangs noch irgendwie verschmerzen, schlug die 27:33-Auswärtsniederlage bei Aufsteiger TuSEM Essen am 4. Spieltag schon deutlich kräftiger aufs Gemüt. Nachdem sich bereits Trainer Jens Bürkle dazu genötigt sah, seine Spieler in der Auszeit gegen Essen lauthals wachzurütteln, nahm HBW-Geschäftsführer Wolfgang Strobel gegenüber der Stuttgarter Zeitung im Nachgang des Essen-Spiels Grund zur Annahme, „dass manche [Spieler] nach unserer vernünftigen Vorbereitung den Blick für die Realität verloren haben.“

 

Dieser Schuss vor den Bug schien die Sinne zu schärfen: Gegen personell dezimierte Eulen aus Ludwigshafen zeigten sich die Gallier an Spieltag fünf von ihrer besseren Seite, verpassten nach der Halbzeitpause aber die Vorentscheidung – und ließen sich in der Folge etwas den Schneid abkaufen. In der Crunchtime kam es dann, wie es kommen musste: Zwei Sekunden vor Schluss fing man sich das 26:27, musste den bis dato ebenfalls sieglosen Mitkonkurrenten gewähren lassen. Der nächste Rückschlag, Tabellenplatz 19. Ohne Druck konnten die Gallier vor der Länderspielpause dagegen ins baden-württembergische Derby mit den Rhein-Neckar Löwen gehen.

 

Nachdem der Underdog eine Halbzeit lang mithalten konnte, mangelte es der Mannschaft von Trainer Jens Bürkle nach der Halbzeitpause im Angriffsspiel gegen nun aggressiver verteidigende Löwen an Lösungen. Am Ende sollte der haushohe Favorit mit 36:27 die Oberhand behalten. Zu allem Überfluss schlug erneut das Verletzungspech zu: Nach Torwart Vladimir Bozic (Wadenverletzung) wird Balingen nun auch länger auf den Franzosen James Scott verzichten müssen, der sich gegen die Löwen eine Sprunggelenksverletzung zuzog. Ob Spielmacher Björn Zintel nach seinem Daumenbruch bereits am Mittwoch wird auflaufen können, entscheidet sich nach Angaben von Bürkle erst kurzfristig.

 

Wenngleich der letzte Gegner sicherlich nicht der Gradmesser der Gallier ist, so wird die Luft im Keller mit jedem sieglosen Spiel zunehmend dünner. Auch deshalb erwartet Kehrmann eine „sehr schwere Aufgabe, bei der es wichtig sein wird, dass wir unser System spielen, vom Kopf her da sind und konsequent in den Gegenstoß gehen.“ Die Vorbereitung ist laut Kehrmann zweiteilig verlaufen. Während fünf Lemgoer Akteure für ihre Nationalmannschaften im Einsatz waren, habe der Rest vor allem im athletischen Bereich trainiert. In der kurzen Zeit ginge es jetzt für das ganze Team darum, dieses nächste Heimspiel gegen Balingen anzugehen, so Kehrmann.

 

Unterdessen kündigte HBW-Trainer Jens Bürkle an, an der Defensivarbeit feilen zu wollen. Die Balinger stellen nach der HSG Nordhorn-Lingen mit 179 Gegentoren die momentan zweitlöchrigste Abwehr. Ein Umstand, der auch zeigt, welch große Lücke der Ex-Lemgoer Martin Strobel als absoluter Führungsspieler und Identifikationsfigur nach seinem Karriereende im zentralen Balinger Rückraum hinterlassen hat. Mit Marcel Niemeyer, der wegen eines im August erlittenen Fußbruchs die ersten drei Saisonspiele noch verpasst hatte, findet sich in Reihen der Gäste auch ein aktiver Akteur mit Lemgoer Vergangenheit wieder (2010-2016), der sich mit saisonübergreifend 185 Toren in den vergangenen zwei Jahren im Schwabenland zum Stammspieler am Kreis gemausert hat.

 

Den zwischenzeitlichen Ausfall des gebürtigen Bielefelders kompensierten mit Rückkehrer Fabian Wiederstein und Tobias Heinzelmann zwei ebenfalls bullige Kreisläufer, „die sie immer wieder versuchen, in Szene zu setzen“, hat Florian Kehrmann beobachtet. Im Rückraum gilt es für die Lipper auf den torgefährlichen Montenegriner Vladan Lipovina achtzugeben, der mit bislang 26 Toren aus dem Spiel treffsicherster Spieler seines Teams ist. „Insgesamt verfügt Balingen über ein sehr komplexes Angriffssystem mit vielen Auftakthandlungen, auf die wir uns vom Kopf her vorbereiten müssen.“ In der vergangenen Saison konnte der TBV gegen den Aufsteiger beide Partien gewinnen.

 

Im Hinspiel, am 11. November 2019, war es dem TBV beim 27:24-Heimerfolg gelungen, der Serie der Gäste von zuvor fünf ungeschlagenen Partien ein Ende zu bereiten. Nach zwischenzeitlicher 7-Tore-Führung im ersten Durchgang gegen auch in der Folge niemals aufsteckende Gäste zurrte letztlich Jonathan Carlsbogård, der diesmal voraussichtlich fehlen wird, den Heimsieg mit einem Doppelpack kurz vor Spielende fest. Im Rückspiel war es Bjarki Már Elìsson, der den Auswärtssieg mit seinem 14. Treffer an diesem Tag zum zwischenzeitlichen 30:27 perfekt machte.

 

Am Ende siegte der TBV mit 31:29. Gegen eine Fortführung dieser Serie hätte sicherlich kein Lipper etwas einzuwenden. Kehrmann: „Wir haben das nächste Heimspiel, in dem wir Favorit sind. Auch diese Prüfung wollen wir mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung bestehen.“ Geleitet wird die Partie vom Schiedsrichtergespann Thomas Kern und Thorsten Kuschel. Sky zeigt die Mittwochs-Konferenz des 7. Spieltags ab 18.30 Uhr live auf Sky Sport 1 sowie das Einzelspiel aus der Phoenix Contact-Arena auf Sky Sport 5.