Im Handel sind viele Fleischpackungen mit der Haltungsform der Tiere gekennzeichnet. Der Vorstoß des Handels sorgt zwar für mehr Orientierung. Er ist aber kein Ersatz für ein ambitioniertes staatliches Tierwohlkennzeichen.
Das Wichtigste in Kürze:
Die Haltungsform-Kennzeichnung kann Verbrauchern die Orientierung beim Fleischeinkauf erleichtern. Doch damit man wirklich die Wahl hat, müssen Produkte der verschiedenen Tierarten auch aus den höheren „Haltungsformen“ in nennenswertem Umfang in den Verkauf kommen.
Unser Marktcheck zeigt: Das Angebot der Haltungsformen 3 und 4 ist viel zu gering. Nur 13 Prozent des gekennzeichneten Fleisches stammt aus diesen Haltungsformen. Insbesondere das Angebot in Haltungsform 3 ist mit drei Prozent kaum vorhanden.
Und: Ob es den Tieren tatsächlich gut gegangen ist, darüber macht die Haltungsform-Kennzeichnung keine Aussage. Denn mehr Platz und Einstreu im Stall sind noch kein Garant für mehr Tierwohl. Um echte Orientierung und Verlässlichkeit beim Einkauf von Fleisch aus besserer Tierhaltung mit mehr Tierwohl zu geben, braucht es schnell eine staatliche Tierwohlkennzeichnung mit Kriterien deutlich über dem gesetzlichen Mindeststandard.
Tierschutz steht hoch im Kurs. Immer mehr Verbraucher wollen, dass Tiere gut leben, bevor sie geschlachtet werden. Der Handel reagiert darauf seit Jahren mit immer neuen Marken und Labeln. Im April 2018 hatte zunächst Lidl einen „Haltungskompass“ für unterschiedliche Tierhaltungsformen eingeführt. Kurz darauf zogen andere Handelsunternehmen mit eigenen Haltungskennzeichnungen nach. Doch die unterschiedlichen Systeme waren für Verbraucher verwirrend. Daher einigten sich die Händler auf die einheitliche „Haltungsform“-Kennzeichnung, die offiziell am 1. April 2019 startete.
Mit diesem vierstufigen Label wird Fleisch gekennzeichnet, das
- in den Selbstbedingungstheken ausliegt (also keine Fertigprodukte, Konserven und kein Fleisch von Bedientheken),
- von Schweinen, Rindern, Hühnern und Puten stammt.
Achtung: Das System der Haltungsform-Label ist genau umgekehrt im Vergleich zur Eierkennzeichnung. Während die Eierkennzeichnung dem Schulnotensystem folgt – die beste Note 1 gibt es für die Freilandhaltung – steht bei der Haltungsform-Kennzeichnung von Fleisch die Stufe 1 nur für die Stallhaltung nach gesetzlichem Mindeststandard. Über Haltungsform 2, 3 und 4 werden die Haltungsbedingungen der Tiere dann immer weiter verbessert. Die Verbraucherzentralen haben von Anfang an kritisiert, dass der Handel mit seiner Haltungskennzeichnung nicht der von Eiern bekannten Systematik gefolgt ist.
Welche Standards die jeweiligen Produkte erfüllen, zeigt die Stufe auf dem Label:
- Haltungsform 1 „Stallhaltung“ beschreibt den gesetzlichen Mindeststandard für die Haltung von Schweinen und Masthühnern. Bei Rindern und Puten zeigt Stufe 1 die branchenübliche Haltung an, da es für diese Tierarten keine speziellen Haltungsvorschriften gibt. Zusätzlich müssen die Betriebe am Prüfsystem „QS“ teilnehmen.
- Haltungsform 2 „StallhaltungPlus“: Schweine, Masthühner, Puten und Rinder haben etwas mehr Platz im Stall (Beispiel Schwein: + 10 Prozent) und zusätzliches Beschäftigungsmaterial, Kühe dürfen nicht angebunden sein.
- Haltungsform 3 „Außenklima“ bedeutet, dass die Tiere neben noch mehr Platz im Stall (Beispiel Schwein: + 40 Prozent) Kontakt mit dem Außenklima haben, beispielsweise in einem überdachten Außenbereich am Stall oder durch eine nach außen offene Stallseite. Auch Futter ohne Gentechnik ist vorgeschrieben.
- Haltungsform 4 „Premium“ bietet den meisten Platz im Stall (Beispiel Schwein: + 100 Prozent) und einen tatsächlichen Auslauf der Tiere im Freien. Das Futter ist ebenfalls ohne Gentechnik. In diese Stufe ist Biofleisch einzuordnen. Auch konventionell erzeugtes Fleisch findet sich hier, wenn die Tierhaltung die beschriebenen Anforderungen erfüllt.
Fleisch der höheren Stufen gibt es kaum zu kaufen
Um Verbrauchern wirklich Wahlfreiheit zu bieten, braucht es ein ausreichendes Angebot von Fleisch aller Tierarten aus allen vier Haltungsformen – und daran hapert es immer noch gewaltig.
Im Sommer 2019 hatten wir in unserem bundesweiten Marktcheck festgestellt, dass das Angebot überwiegend aus der Haltungsform 1 stammt. Die erneute Überprüfung im Herbst 2020 zeigte nur unwesentliche Verbesserungen:
- 51 Prozent der Produkte stammten aus der Stufe 1. Hier fanden sich vor allem Fleischangebote vom Schwein und Rind.
- 36 Prozent – weit überwiegend Geflügel – war mit Haltungsform 2 gekennzeichnet.
- Die Stufen 3 und 4, die als einzige für deutlich bessere Haltungsbedingungen stehen, machten insgesamt nur 13 Prozent des Angebotes aus. Insbesondere das Angebot in Stufe 3 war mit knapp drei Prozent verschwindend gering.
- Für Rindfleisch-Liebhaber blieb meist nur die Wahl zwischen Haltungsform 1 und dem begrenzten Angebot in Haltungsform 4.
Damit haben Verbraucher nur sehr eingeschränkte Wahlmöglichkeiten bei Fleisch aus deutlich verbesserter Tierhaltung. Der Anteil von Fleischprodukten in den Haltungsform-Stufen 3 und 4 muss darum deutlich erhöht werden.
Das Label „Haltungsform“ ist kein Tierwohllabel
Die Haltungskennzeichnung des Handels ist ein guter Ansatz. Sie garantiert aber nicht, dass es den Tieren wirklich gut gegangen ist. Denn mehr Platz und Beschäftigungsmaterial im Stall bedeuten nicht automatisch mehr Tierwohl. Für verlässliche Aussagen zum Tierwohl müssen verhaltens- und gesundheitsbezogene Kriterien wie Lahmen, Verletzungen, Organbefunde usw. in der Tierhaltung und am Schlachthof systematisch erhoben und ausgewertet werden – und bei Auffälligkeiten die Tierhaltung nachgebessert werden.
Das staatliche Tierwohlkennzeichen muss schnellstmöglich eingeführt werden
Entscheidend ist aus unserer Sicht, dass das seit Jahren angekündigte staatliche Tierwohlkennzeichen nun zügig eingeführt wird, da es
- verbindlicher ist als einzelne Initiativen der Wirtschaft und
- über die reine Haltung hinaus das Tierwohl in den Blick nimmt.
Die Anforderungen dieses staatlichen Zeichens müssen deutlich über dem gesetzlichen Mindeststandard liegen. Nach dem Start mit Schweinefleisch muss die Kennzeichnung rasch auf die weiteren Tierarten ausgeweitet werden. Doch auch die nationale Kennzeichnung ist nur als Übergangslösung geeignet, denn sie ist freiwillig und lässt die importierten Produkte außen vor. Mittelfristig ist daher eine verbindliche europäische Kennzeichnung erforderlich, die Transparenz über das gesamte Angebot – einschließlich des gesetzlichen Mindeststandards – herstellt.
Pressemeldung: Verbraucherzentrale NRW.