Seit über elf Jahren besteht die Familienklinik Lippe. Viele verschiedene Teams kümmern sich hier um kleine und große Patienten. © Klinikum Lippe

Familienklinik Lippe: Wie sieht die Versorgung von Schwangeren, Kindern und Jugendlichen heute aus?

 

Der Internationale Tag der Familie am 15. Mai feiert in diesem Jahr seinen dreißigsten Geburtstag. Seit 1993 nutzen die Vereinten Nationen und viele Institutionen weltweit dieses Datum, um auf die Bedürfnisse und Bedeutung von Familien aufmerksam zu machen. Die Familie in ihren unterschiedlichsten Formen steht auch im Mittelpunkt der Familienklinik Lippe. Anlässlich des Aktionstages haben wir deshalb mit drei Medizinern gesprochen, um zu erfahren, was das Besondere an der Familienklinik ist.

 

Viele Familien kommen über die Schwangerschaft bzw. Geburt zum ersten Mal in Kontakt mit der Familienklinik Lippe. Was hat sich in der Geburtshilfe in den letzten Jahren verändert?

Dr. Corinna Bryan: In den letzten Jahren hat sich in der Geburtshilfe viel verändert, insbesondere hinsichtlich des Fokus auf die natürliche Geburt und der Zentralisation von Geburtskliniken. Es gibt auch einen Anstieg von Schwangeren über 30 Jahren, die ihr erstes Kind erwarten. Den Frauen bieten wir mit unserem Perinatalzentrum Level 1 individuelle Betreuung und Planung der Geburt an. Dies gilt für Frauen ohne besondere Risiken gleichermaßen wie für Hochrisikoschwangerschaften, einschließlich Früh- oder Mehrlingsgeburten, und bei vorliegenden Erkrankungen von Mutter und Kind.

 

Heutzutage achten schwangere Frauen besonders auf eine individuelle Beratung und Betreuung während der Schwangerschaft und Entbindung. Natürliche Geburten sind wieder beliebter und der Wunsch nach einem geplanten Kaiserschnitt ist zurückgegangen. Die Kernkompetenz der Hebammen liegt in der Begleitung und Unterstützung von Frauen bei Spontangeburten, was für Mutter und Kind in der Regel am besten ist. Unsere erfahrenen Hebammen und ein gut ausgebildetes Team tragen zu einer guten Betreuung bei, auch bei besonderen Umständen wie erneuten Geburten nach Kaiserschnitt oder nach komplizierten Entbindungen. Unser Ziel ist es, die Vorstellungen der Schwangeren oder des Paares bei der Geburt umzusetzen und ihnen dabei zu helfen, eine positive Geburtserfahrung zu machen.

 

Stichwort „Familien im Kreißsaal“: Welche Rolle spielt die Familie bei der Geburt und auf der Wochenstation?

Bryan: Die Familie spielt eine wichtige Rolle bei der Geburt und auf der Wochenstation. Für die Schwangere ist die Begleitung durch ihren Partner oder eine andere Vertrauensperson von großer Bedeutung. An unserer Klinik ist es selbstverständlich, dass eine Begleitperson während der gesamten Betreuung im Kreißsaal anwesend sein darf. Dies gibt der werdenden Mutter ein Gefühl von Sicherheit und Unterstützung. Auf der Wochenbettstation sind Besuche von Geschwisterkindern, Großeltern und andere Verwandten und Freunden sehr willkommen. Diese Besuche ermöglichen es der Familie, das neue Familienmitglied zu begrüßen und in die Gemeinschaft aufzunehmen. Es ist dabei nur wichtig, dass die Besuche während der Wochenbettzeit auf die Bedürfnisse von Mutter und Kind abgestimmt sind. Gleichzeitig kann der Austausch mit anderen Familien auf der Wochenstation hilfreich sein und ein Gefühl von Gemeinschaft vermitteln.

 

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sollten möglichst mit einem Wohlgefühl und Sicherheit verbunden sein. Deshalb laden wir Schwangere und ihre Familien schon weit vor der Geburt ein, die Familienklinik, die Geburtshilfe und den Kreißsaal in Detmold kennenzulernen. Unsere Kreißsaalführungen in Präsenz bieten werdenden Eltern die Möglichkeit, sich mit der Geburtsklinik vertraut zu machen, unser Team kennenzulernen und offene Fragen zu klären. Wer mit dem Schwangerschaftsbauch nicht mehr so gut zu Fuß ist, kann aber auch weiterhin unsere Kreißsaalführungen online nutzen.

 

Die Familienklinik Lippe besteht seit nunmehr elf Jahren. Was ist das Besondere daran?

Dr. Beate Ruppert: Wir sind ja mit der Kinderklinik im Januar 2012 in den neu gebauten Trakt der Familienklinik eingezogen. Die wichtigste Besonderheit damals und heute war und ist, dass Geburtshilfe und Kinderklinik ganz dicht beieinander liegen. Unser Motto „Tür and Tür“ bzw. „Wand an Wand“ zeigt schon, dass hier kurze Wege viele Vorteile mit sich bringen.

 

Vor der Familienklinik waren die Neugeborenenintensivstation und die Kinderintensivstation gemeinsam auf einer Station untergebracht. Das ist in vielen Kliniken so, aber wir haben uns ganz bewusst für eine Trennung dieser Bereiche entschieden, um die Wege zwischen Kreißsaal und Neugeborenenintensivstation zu verkürzen. Wir Kinderärzte müssen seitdem nicht mehr von der Kinderklinik in den Kreißsaal rennen, wenn es bei einer Geburt kritisch wird. Wir sind direkt vor Ort und damit entfällt auch der Transport des Neugeborenen, was gerade bei extrem frühgeborenen Kindern oder Kindern mit Anpassungsschwierigkeiten nach der Geburt vorteilhaft ist. Natürlich sind auch die Räume optimal – selbst wenn sie nun schon elf Jahre bestehen. Der Erstversorgungsraum ist beheizt und liegt direkt neben dem Kreißsaal, in dem Kaiserschnitte durchgeführt werden.

 

Dr. Ulrich Wunderle: Erst durch die baulichen Veränderungen und das Zusammenwachsen zur Familienklinik erfüllten wir ja auch die Strukturvorgaben an ein Perinatalzentrum Level 1, welches wir seitdem vorhalten. Und wir haben ja nicht mit dem Umzug in die Familienklinik aufgehört unsere Angebote zu verbessern. Gute Beispiele dafür sind die Familienzimmer oder der Ausbau der physiotherapeutischen Betreuung der Frühgeborenen und ihrer Eltern. Auch die Einrichtung der Muttermilchbank ist nicht selbstverständlich, war uns aber ein wichtiges Anliegen, um eine möglichst physiologische Ernährung anbieten zu können.

 

Wie haben sich die „Kinderkrankheiten“ und das Leistungsspektrum der Familienklinik in den letzten Jahren verändert?

Ruppert: Innerhalb der Familienklinik konnten wir neue Angebote etablieren, die gerade von Familien sowohl damals als auch heute dringend benötigt wurden und werden. Dazu zählt zum Beispiel unsere Psychosomatische Station. Wir konnten auch die Kinderchirurgie in die Kinderklinik integrieren, die vor der Familienklinik noch durch die Allgemeinchirurgie betreut wurde und nun ein eigenständiger Bereich nur für Kinder- und Jugendliche ist. Das ist eine ganz wichtige Entwicklung, weil Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, sondern spezielle Bedürfnisse haben. So sind beispielsweise auch unsere Psychologinnen, Ernährungsberaterinnen und Physiotherapeutinnen besonders geschult und in die Abläufe in der Kinderklinik voll integriert.

 

Wir Kinderärzte sehen schon, dass sich in den letzten zehn Jahren die Krankheitsbilder in der Kinder- und Jugendmedizin verändern. Gleichzeitig werden Liegezeiten immer kürzer und viele medizinische Angebote werden ambulant erbracht. Dadurch erleben wir in der Kinderklinik, dass viele Familien, zum Beispiel nach einem notwendigen Besuch der Kindernotaufnahme, am liebsten direkt wieder nach Hause möchten. Gleichzeitig haben wir auf den Eltern-Kind-Stationen deutlich mehr Begleitpersonen, die sich gemeinsam mit ihrem Kind stationär aufnehmen lassen, auch bei Kindern, die schon älter sind.

 

Was das Krankheitsspektrum an sich angeht, ist auch hier der Wandel spürbar. Durch die Pandemie haben Essstörungen oder Schulverweigerung noch einmal stark zugenommen sowie psychosomatische Erkrankungen allgemein. Nach dreieinhalb Jahren Corona haben wir deutlich mehr Infektwellen mit stärkerer Ausprägung, zum Beispiel die RSV-Welle.

 

Wunderle: In der Behandlung von Frühgeborenen hat sich in den letzten Jahren der Ausbau der „nichtinvasiven Beatmung“ etabliert. Neben dem bekannten CPAP-Verfahren, also der Beatmung mit Masken und nasalen Prongs, kann bei unseren Patienten auch eine Atemunterstützung mit High-Flow-Systemen durchgeführt werden. Hier wird die Atmung mit Nasensonden unterstützt, durch die mit hohem Gasdurchfluss ein positiver Druck in den Atemwegen aufgebaut werden kann. Damit kann oftmals eine invasive Beatmung mit Tubus verhindert werden bzw. eine frühere Beendigung der invasiven Beatmung erreicht werden.

 

Eine wichtige und für die Entwicklung und Genesung gerade unserer kleinen Patienten förderliche Entwicklung ist die zunehmende Einbeziehung der Mutter in die intensivmedizinischen Abläufe im Rahmen der neonatologischen Therapie. So sind der Erstkontakt zur Mutter direkt im Sectio-OP oder die Kängurupflege bei uns heute Standard.

 

Pressemeldung: Klinikum Lippe