Ein emotionsgeladener und befreiender Jubel hallt um 20.33 Uhr durch die Phoenix Contact-Arena. Es sind Jubelszenen, die in den bisherigen Heimauftritten des TBV wohl ihresgleichen suchen. Der Grund ist ein ganz einfacher: Der TBV Lemgo Lippe hatte soeben die HSG Wetzlar nach einem unfassbar spannenden Fight mit 28:27 (15:14) in die Knie gezwungen – und feierte ausgelassen den sechsten Sieg im siebten Heimspiel.

 

Gerade einmal fünf Minuten waren gespielt, als sich die Lemgoer 5:1-Deckung erneut hellwach zeigte, das Zuspiel auf HSG-Kreisläufer Anton Lindskog abfing und Bjarki Már Elísson seinen bereits zweiten Tempolauf zum 5:1 krönte. Mit Mark van den Beucken und Christoph Theuerkauf hatte TBV-Trainer Florian Kehrmann gleich zwei Debütanten in die Anfangssieben beordert. Und Lemgos niederländischer Keeper hatte gleich in den ersten Minuten großen Anteil an der komfortablen Fünf-Tore-Führung, als er zweimal sehenswert den Einschlag verhinderte.

 

Der TBV zog den Gästen mit der aggressiven 5:1-Abwehr mit Lukas Zerbe an vorderster Front zunächst den Zahn und bestach offensiv mit enormer Wurfpräzision – sowohl freistehend als auch aus dem Rückraum. Nach neun Minuten – Theuerkauf hatte per Tempogegenstoß gerade auf 9:3 gestellt – war die HSG Wetzlar bereits mit sechs Toren ins Hintertreffen geraten. HSG-Trainer Kai Wandschneider musste früh gegenlenken, nahm die Auszeit.

 

Nachdem Isaias Guardiola den gerade eingewechselten HSG-Schlussmann Till Klimpke zum 10:4 überwunden hatte, schlichen sich im Angriffsspiel des TBV, auch bedingt durch den ein oder anderen Wechsel, zunehmend Fehler ein. Die Wetzlarer schlugen daraus Kapital und kamen nach 18 Minuten bis auf drei Tore ran (12:9). Kehrmann reagierte, zückte erstmals die Grüne Karte, ordnete seine Angriffsreihe neu und ließ in der Abwehr fortan im 6:0 agieren. Schließlich war es Dani Baijens, der die sechsminütige Torflaute des TBV mit seinem Wurf in der 22. Spielminute zum 13:10 durchbrach.

 

Doch Wetzlar, das vor allem defensiv nun richtig zupackte und kaum noch Lücken bot, pirschte sich immer näher heran – sichtlich davon angetrieben, seinen Auswärtsfluch in der Phoenix Contact-Arena endlich beenden zu wollen. Gerade, als die Mittelhessen den 15:14-Anschlusstreffer durch Kristian Björnsen hergestellt hatten, sah Elísson von Schiedsrichter Timo Hofmann eine Zeitstrafe gegen sich. Doch der TBV überstand die nun hektische Phase, in der wegen einiger Fouls und Nickligkeiten kaum noch Spielfluss aufkam, in Unterzahl schadlos – und hievte sich mit dem 15:14-Vorsprung in die Halbzeit.

 

Zu Beginn der zweiten Hälfte durfte dann Peter Johanneson im TBV-Tor ran. 30 Sekunden waren gespielt, als Wetzlars Olle Forsell Schefvert nahezu ungehindert zum 15:15 einnetzen konnte. Baijens hatte mit seinem fünften Treffer zwar im Handumdrehen die passende Antwort parat, doch Steffen Cavor und Björnsen brachten ihre in Überzahl agierende Mannschaft in der 34. Spielminute schließlich zum ersten Mal in Führung. Elísson stellte per Strafwurf gleich, die darauffolgende Überzahl konnte der TBV jedoch nicht in eine erneute Führung ummünzen.

 

Stattdessen zogen die Hessen in der 37. Spielminute auf zwei Tore davon. Das mutige Abwehrverhalten mit den vorpreschenden Lukas Zerbe und Baijens zahlte sich in Minute 43 aus, als Zerbe einen Rückpass abfing und vor dem HSG-Tor kühlen Kopf bewahrte. Und Zerbe war es auch, der dem TBV die 22:21-Führung bescherte. Das Spiel blieb Spitz auf Knopf, der TBV legte nun vor, doch Wetzlar wusste stets um eine Antwort.

 

Beim Stand von 25:25 nahm Florian Kehrmann die nächste Auszeit und schwor seine Mannen auf den Schlussfight ein (53.). Wurden in der ersten Halbzeit noch erfolgreiche Tempogegenstöße gefahren, waren in der zweiten Hälfte vor allem Zielstrebigkeit und Genauigkeit im Positionsspiel gefragt, denn beiden Teams legten ein gutes Rückzugsverhalten an den Tag. Fynn Hangstein bewies abermals Präzision und stellte mit dem bis dato schönsten Treffer auf 26:26. Nachdem sich der inzwischen wieder eingewechselter Mark van den Beucken in der 56. Minute wieder auszeichnen konnte, besorgte Theuerkauf im Nachfassen die 27:26-Führung. Während Gedeón Guardiola in der 58. Minute verletzt vom Feld musste und den Fuß bandagiert bekam, kam der TBV nach einem technischen Fehler wieder in Ballbesitz.

 

Dann sorgte Theuerkauf für die Szene(n) des Spiels: Erst traf er eine Minute vor Schluss zur 28:27-Führung, dann stellte er sich im Gegenzug dem heranrauschenden Cavor erfolgreich in den Weg – Offensivfoul Wetzlar, Angriffswechsel – und ein nachhallender Schrei Theuerkaufs ging durch die Halle. Es liefen die letzten 30 Sekunden, als Kehrmann bei noch vier ausbleibenden Pässen die Grüne Karte zückte. Der TBV machte es clever und blieb bis zur Schlusssirene in Ballbesitz. Was darauf folgte, war die pure Erleichterung – und die ausgelassene Freude über die Punkte 14 und 15.
HSG-Trainer Kai Wandschneider nach dem Spiel:

 

„Glückwunsch nach Lemgo. Wir haben einen krassen Fehlstart hingelegt. Das ist uns hier schon zum zweiten oder dritten Mal passiert. Wir haben Gegenstöße durch technische Fehler weggeworfen, unsere Konter sind gekontert worden. Dann haben wir uns reingekämpft. Die Lemgoer 5:1 Deckung können wir besser lösen, haben uns aber schwergetan. Das Ganze ist dann auf ein Herzschlagfinale hinausgelaufen, in dem Lemgo das glücklichere Händchen gehabt hat. Das Spiel hing für beide Seiten am seidenen Faden und ich hätte mir gewünscht, einen Punkt mitzunehmen. Für mich war es ein Spiel auf Augenhöhe und nach der Anfangsphase war es von unserer Seite auch ein gutes Bundesligaspiel.“

 

TBV-Trainer Florian Kehrmann auf der Pressekonferenz: „Wir hatten nach der Derbyniederlage gegen Minden, wo wir die letzten fünf Prozent haben vermissen lassen, ein paar Fragezeichen hinter unserer Leistung. Hätten wir das Spiel normal angegangen, wären wir vermutlich nicht so ins Spiel gekommen. Durch die 5:1-Abwehr haben wir Wetzlar verunsichert, viele Ballgewinne gehabt und sind gut ins Tempospiel gekommen. Das 10:3 haben wir in der Phase leider zu schnell hergeschenkt. Dann kam die aggressive und stabile 6:0-Abwehr von Wetzlar zum Tragen.

 

Uns unterlaufen dann zu viele technische Fehler. Ich musste den Jungs in der Halbzeit wieder auf die Sprünge helfen, weil wir ja immer noch mit einem Tor geführt haben. Dann wurde es ein Spiel, in dem Kleinigkeiten entscheiden. Wir haben vielleicht auch deswegen gewonnen, weil mit Elísson und Baijens heute zwei Spieler über sich hinausgewachsen sind. Ich lobe selten einzelne Spieler, aber das hat uns heute vielleicht den entscheidenden Vorteil gebracht.“

 

TBV Lemgo Lippe: Johannesson, van den Beucken; Elísson (8/1), Kogut (2), I. Guardiola (3), Simak, Theuerkauf (3), Schagen, Timm, Hangstein (2), Zerbe (3), G. Guardiola (1), Cederholm, Baijens (6).