Trainer Florian Kehrmann im Interview mit dem TBV. Quelle: TBV Lemgo Lippe/Paul Cohen.

Wir freuen uns sehr, Flo, dass du deinen Vertag verlängert hast. Was waren deine Gründe, dich noch länger an den TBV zu binden und hier weiterzumachen?

 

Florian Kehrmann: Ich glaube, zuerst muss man sagen, dass ich mich hier sehr wohl fühle, dass Lemgo sicherlich meine zweite Heimat geworden ist und dass wir nach der schweren Zeit in den letzten Jahren im Verein auch wieder eine gute Entwicklung genommen haben. Beim TBV habe ich die Chance, hier weiterhin unter guten Trainingsbedingungen junge Spieler in die Bundesliga zu führen oder sie vielleicht auch schon zu Top-Spielern in der Liga zu formen. Das macht eine Menge Spaß, ist eine tolle Aufgabe und gibt einem als Trainer auch sicherlich viel Bestätigung und viele positive Rückmeldungen.

 

 

Das Team trägt ganz deutlich deine Handschrift und die Entwicklung geht seit einiger Zeit eigentlich konstant aufwärts.

 

Florian Kehrmann: Das stimmt, aber auch solch ein Team wird sich nicht immer nur nach oben entwickeln können, es werden auch wieder Rückschläge kommen. Es wird auch wieder vorkommen, dass Spieler, die wir sehr gut ausgebildet haben, den Verein verlassen, und es wird auch wieder Rückschläge z.B. durch Verletzungen geben. Damit muss man rechnen, all das gehört einfach dazu, aber ich glaube, die Gesamtentwicklung, auch wie wir den TBV wieder ein bisschen familiärer und authentischer gemacht haben, hat Spaß gemacht. Da sind wir meiner Meinung nach noch nicht am Ende.

 

Das Familiäre, das Authentische, der Zusammenhalt, all das ist nicht nur in Hamburg deutlich geworden. Das war auch in Erlangen zu sehen, als die Mannschaft nach dem Schlusspfiff direkt zum verletzten Lukas Zerbe gelaufen ist, um ihren Sieg mit ihm zusammen an der Bank zu feiern. Das machen sie ja nicht, weil ihnen das jemand sagt, sondern weil sie das einfach machen wollen, weil es für sie selbstverständlich ist. Dieser Teamgedanke ist sehr, sehr wichtig, aber es steckt auch eine Menge Arbeit dahinter, oder?

 

Florian Kehrmann: Ja, ich glaube, ein Team entsteht nicht mit einer Blaupause aus irgendwelchen Motivations- und Teambuilding-Büchern, sondern es müssen viele Dinge auch immer aus dem Team selbst kommen. Man kann viele Dinge vorleben oder auch erwarten, und man muss sie auch immer wieder leben, d.h. man muss der Mannschaft auch immer wieder so ein bisschen Hilfe geben. Aber ich finde, wenn ein Team von sich aus wachsen kann und in sich wachsen kann, dann ist das immer das Allerwichtigste. Ich sehe mich da nicht als der, der alles vorgibt, sondern eher als der, der begleitet und versucht, ihnen Hilfestellung zu geben.

 

Das hat natürlich in dieser Saison mit vielen kleinen Bausteinen und letztlich mit dem Triumph in Hamburg dann alles gepasst. Das ist aber auch ein fortlaufender Prozess. Wir werden jetzt wieder einen kleinen Umbruch haben mit Spielern, die uns verlassen, und neuen, die dazukommen. Es wird in jedem Jahr eine neue Aufgabe sein, diese Arbeit auch fleißig zu gestalten und Spieler zu haben, die sich auch immer individuell weiterentwickeln wollen.

 

Grundsätzlich ist das Thema Charakter und Persönlichkeit also auch ein ganz entscheidendes Kriterium bei der Verpflichtung von Spielern, oder?

 

Florian Kehrmann: Bei mir kommt es nicht nur auf das Handballerische an, auch auf das Menschliche, darauf, wie jemand tickt. Das ist natürlich nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Man muss viele Gespräche führen und Informationen über die Spieler sammeln, die man verpflichten möchte.

 

In den letzten Jahren habe ich auch gelernt, dass der Charakter eines Spielers wichtig ist, genauso wie die Zusammenstellung der Charaktere. Ein Team darf nicht immer aus den gleichen Spielertypen bestehen, es braucht ein paar Gegenpole, die sich gegenseitig unterstützen, aber vielleicht auch ein bisschen reiben. Dieses Jahr ist das gut gelungen, nächstes Jahr müssen wir es dann wieder hinbekommen.

 

Die lange Corona-Saison ist so gut wie beendet. Sie hat fast ein ganzes Jahr gedauert, Mitte Juli 2020 hat die Vorbereitung begonnen. Die Mannschaft hat sehr viel Stärke bewiesen, in den Geisterspielen und nach den Corona-Fällen. Woher kommt diese Stärke?

 

Florian Kehrmann: Vielleicht haben wir das Corona-Jahr auch als eine Chance gesehen. Alle haben immer nur von Problemen und Schwierigkeiten gesprochen, wir haben ja oft betont, dass das auch Chancen sind, dass auch Mannschaften, die nominell besser besetzt sind, vielleicht eher Probleme haben, und wir besser durch die Saison kommen. Wir haben sehr flexibel gearbeitet, das heißt, wir waren nicht so eingefahren in unseren Mustern.

 

Wir haben auf die neuen Gegebenheiten immer wieder gut reagiert und wir haben in der Corona-Phase auch eine tolle Unterstützung von unseren Partnern, wie den Buena Vista Fitnessclubs oder der Reha Lemgo, bekommen. Dadurch hatten wir dann perfekte Möglichkeiten, die Mannschaft schnell wieder fit zu bekommen. Das sind manchmal alles Kleinigkeiten, aber es hat dafür gesorgt, dass es gut funktioniert hat. Corona war dann halt vielleicht auch eine Chance und wer weiß, ob die nächste Saison eine normale wird oder ob sie auch wieder von irgendwelchen Dingen bestimmt wird.

 

Das Team hinter dem Team ist auch von Bedeutung. Physios, Ärzte, alle drumherum, die nicht so im Rampenlicht stehen wie die Leute auf dem Spielfeld, die aber auch wichtig sind.

 

Florian Kehrmann: Ja, und obwohl ich dafür nicht alleine verantwortlich bin, ist mir das auch ganz wichtig, dass das Gesamtbild zusammenpasst. Auch da gibt es manchmal Reibereien oder verschiedene Meinungen, aber ich glaube, wichtig ist, dass man in diesen Situationen dann auch immer wieder zusammenfindet. Das ist auch ein vernünftiges Arbeiten, ich glaube, das hat man auch beim REWE Final 4 gemerkt. Die ganze Geschäftsstelle war da, auch wie alle, die dabei waren, die Tage verbracht haben. Sie haben sich wohl gefühlt, sie haben gearbeitet. Da merkt man dann, ob das funktioniert. Aber es ist trotzdem auch wichtig, solche Veranstaltungen dann zu pflegen und so etwas zu machen.

 

Jetzt geht es zusammen in die nächsten Jahre, wir haben mal aus Spaß gesagt „Wir wollen Silberhochzeit mit dir feiern.“ Das wäre dann im Jahr 2024. Wie sehen deine Ziele jetzt erst einmal für die nächste Saison aus?

 

Florian Kehrmann: Die Ziele werden sich nicht ändern. Wir versuchen weiterhin, ein sehr, sehr guter Ausbildungsverein in der Handball-Bundesliga zu sein und sicherlich im gefestigten Mittelfeld zu spielen. In der kommenden Saison wird es mit der Euro League zusätzlich ein großes Abenteuer geben und ich glaube, das wird für uns eine ganz tolle Sache. Das müssen wir annehmen, das wird für uns sicherlich eine Phase, die sehr spannend sein wird.

 

Und dann gibt es natürlich auch wieder die Aufgabe, die jungen Spieler, die neu zu uns kommen, wieder heranzuführen, in die Bundesliga zu bringen und sie zu entwickeln. Und natürlich auch denen, die bereits den ersten Sprung gemacht haben, zu weiteren Sprüngen zu verhelfen. Es gibt viele Aufgaben, viele spannende Aufgaben und ich glaube, es wird uns auch im nächsten Jahr nicht langweilig werden.